Das Eisvögelchen

und der Spruch

Saevis tranquillus in undis

Übersetzung aus dem Lateinischen: Ruhig inmitten der tosenden Wellen

Wahlspruch und Symbol Wilhelm von Oraniens

Prinz Wilhelm von Oranien führte den Spruch Saevis tranquillus in undis, der seine unerschütterliche Ruhe zum Ausdruck bringt. Zu diesem Bild gehört das Eisvögelchen, das nach klassischer Überlieferung ein auf den Wellen treibendes Nest baut, in dem ihm selbst die heftigsten Stürme nichts anhaben können. So verstand es auch der Prinz, den gröten Widerwärtigkeiten zu trotzen und seinen Gleichmut zu bewahren. Das Symbol war umso verlockender, als auch die Farben des Eisvogels – orange-wei-blau – den Farben des Fürstentums Oranien und der darauf zurückgehenden Fahne des Aufstands unter Führung Oraniens entsprechen. Wahrscheinlich hat auch der nicht-aggressive, friedliebende Charakter zum Erfolg des Symbols beigetragen.

Das Eisvögelchen und sein Nest in den tosenden Wellen werden oft von einer Sonne mit Christus-Monogramm beschienen. Charlotte de Bourbon, die dritte Frau Prinz Wilhelms, bat ihn 1577, eine Münze mit diesem in ihren Augen so passenden Motiv prägen zu lassen. Die Münze wurde 1580 vom flämischen Medailleur Coenraad Bloc hergestellt, vermutlich in Antwerpen, wo sich der Prinz damals aufhielt. Auf der einen Seite bildete er den Prinzen ab; auf der Rückseite steht der Wahlspruch, zusammen mit dem Eisvogel.

Klassische Herkunft

Ödipus beschrieb in seinen Metamorphosen (liber XI, vs. 410-4789), wie das thrakische Königspaar Ceyx und Alcyone, nachdem sie im Meer den Tod gefunden hatten, von den Göttern in ein Eisvogelpaar verwandelt wurde. Nach der Überlieferung bauten diese Eisvögel ihr Nest im Meer, wobei Aeolus, Gott des Windes und Alcyones Vater, die Eisvögel inmitten der vom Sturm aufgepeitschten Wogen im Windschatten behütete. In der protestantisch-christlichen Tradition wurde Aeolus durch Gott ersetzt, in der Ikonographie symbolisiert durch die Sonne mit dem Christus-Monogramm.

Der Kirchenvater Basilius der Groe (4.Jh.) wies ebenfalls auf den Eisvogel und das “tranquillum esse media bruma” hin. Von ihm übernahm es Alciatus in seinen Emblemata, in dem Spruch “tranquilli in marmoris unda”. Durch die 1566 in Antwerpen erschienene Ausgabe kann der Prinz oder jemand aus seinem Gefolge auf das Symbol und den Spruch aufmerksam geworden sein. Das Emblem taucht dann noch mehrmals auf. Goltzius gravierte es 1581; die Stände Hollands lieen es nach dem Tod des Prinzen auf zwei Münzen prägen. Auerdem ist es auf dem Grabmal Oraniens in Delft abgebildet. Danach machten Spruch und Symbol Platz für jene des Prinzen Moritz: den abgehauenen Baumstumpf mit zwei Zweigen und dem Spruch: Tandem fit surculus arbor.

Wiederaufnahme der Tradition durch Wilhelmina

Im 19. Jh. wurden Oraniens Symbol und Wahlspruch in den Sockel seines Denkmals am “Plein” in Den Haag eingraviert. Später wurden sie auch von Königin Wilhelmina sehr geschätzt, sie hatte ein Bild davon auf ihrem Schreibtisch stehen. Auch für den Buchumschlag ihrer Memoiren Eenzaam maar niet alleen [Einsam, aber nicht allein] (Baarn 1962) lie sie eine Darstellung des Eisvogels und seines Nestes entwerfen. Anlässlich des vierzigjähriges Regierungsjubiläums Wilhelminas verglich der niederländische Historiker Johan Huizinga ihre Standhaftigkeit mit jener des Prinzen Wilhelm von Oranien und meinte, dass das Eisvögelchen einen Platz unter den nationalen Symbolen der Niederlande verdiene.

Der Spruch in der Parteipolitik

Derselbe Spruch und dasselbe Bild wurden parteipolitisch vom Führer der Antirevolutionären Partei, Hendrik Colijn, in seinem Saevis tranquillus in undis. Toelichting op het antirevolutionair beginselprogram [Erläuterung des antirevolutionären Parteiprogramms] (Amsterdam 1934) verwendet. Colijns Partei bildete ihren Führer gerne als unbeirrbaren Steuermann auf einem Schiff oder in anderen charaktervollen Posen ab. Von dort fand das Bild auch seinen Weg in die politischen Karikaturen Colijns. Colijns politischer Gegner, der Katholik Nolens, wandelte den Spruch ab zu: Saevus tranquillis in undis – Tobend inmitten der ruhigen Wellen.

Zum Schluss

Übrigens baut ein Eisvogel sein Nest nicht in den Wellen, sondern er gräbt einen Gang in die steile Uferböschung eines Wassergrabens oder Tümpels. Nach einer anderen Legende soll der Vogel einmal zu hoch geflogen sein, so hoch, dass er am Himmel anstreifte, wodurch sein Rücken blau wurde. Danach versengte ihm ein Blitzstrahl das Bäuchlein und färbte es orange …

Übersetzung aus dem Niederländischen von Christine Hermann, Wien

Literatur

Willem van Oranje:

Het hof van Willem van Oranje / Marie-Ange Delen. – Amsterdam : Wereldbibliotheek, [2002], p. 209.

Wilhelmina:

Het Eeuwige verbeeld in een afgehaald bed : Huizinga en de Nederlandse beschaving / Gerardus Antonius Cornelis van der Lem. – [Amsterdam : Wereldbibliotheek], cop. 1997. – 413 p., 32 p. pl. : ill. ; 22 cm
Anton van der Lem. – Dissertation Rijksuniversiteit te Leiden. – Met lit.opg., reg.  ISBN 90-284-1755-9, p. 205.