Anton van der Lem

Unschuldig wie der Prinz. Die Mordpläne von und gegen Wilhelm von Oranien

(2000)

Übersetzung aus dem Niederländischen: Liselotte Dinges, Wien

Redigiert von Maria Elisabeth Weissenböck, Wien

[Text zum Bild:]

Wilhelm von Oranien durfte nach seinem Tod nicht porträtiert werden, da die Stände das Entstehen von Spottbildern verhindern wollten. Dennoch gelang es einem Maler, ein paar Gesichtszüge festzuhalten: C. J. van Bieselingen machte ein Porträt des Prinzen auf dem Sterbebett (Delft, Städtisches Museum Het Prinsenhof), nach dem dieses Gemälde angefertigt wurde (Zaltbommel, Rathaus, aus dem es 1979 gestohlen wurde).

Seit dem Tag, an dem Prinz Wilhelm von Oranien durch den von Balthasar Gerards abgefeuerten Schuss getötet wurde, ist dieser Anschlag in den Niederlanden dazu benützt worden, den Prinzen umso höher zu loben und den Mörder dementsprechend zu schmähen. Der edle Prinz, der für die Freiheit gekämpft hatte, fiel der Mörderhand eines feigen Burgunders zum Opfer. Der edle Vater des Vaterlandes wurde durch Gemeinheit und Verrat umgebracht, von einem, der seinen Auftrag aus Geldgier und Dienstbarkeit gegenüber dem spanischen Tyrannen erledigte. Dieses Bild hielt und hält stand, über mehr als vierhundert Jahre hinweg. Als einer der Bewunderer und Biographen des Prinzen, der Leidener Professor der niederländischen Geschichte P.J. Blok, die Entdeckung machte, dass derselbe edle Prinz seinerseits bei einem Plan zur Beseitigung des Herzogs von Alba die Hand im Spiel gehabt haben dürfte, war das für ihn ein groer Schock. Nur widerwillig und zögernd gab er zu, dass ein Brief im Hausarchiv Albas durchaus Wilhelm von Oraniens Mitwissen über einen geplanten Anschlag auf Alba vermuten lasse. Nach dieser Feststellung versicherte Blok seinem Publikum, dass sich das zwar nicht gehöre, dass es aber nichts an der Figur des Prinzen ändere, die sich durch ‘den hoogen, grooten geest, een hoog en groot karakter’ [geistige Gröe und einen starken Charakter] auszeichne. Mit vielen Worten versuchte er diesen kleinen Fleck auf dem Bild des Prinzen zu kaschieren. Nicht umsonst ist der Ausdruck ‘van de prins geen kwaad’ [zu Deutsch so viel wie: “unschuldig wie ein Lamm” bzw. “völlig harmlos sein”, Anm. d. Übers.] noch immer eine gebräuchliche Redensart in der niederländischen Sprache. Eine nüchterne und sachliche Betrachtung der Mordpläne von und gegen Wilhelm von Oranien ist auch darum angebracht.

Wechselseitige Komplotte

Schon lange bevor der Herzog von Alba von Philipp II. zur (Wieder)herstellung der königlichen Autorität in die Niederlande geschickt worden war, fand der eiserne Herzog, dass der König hier einmal ein paar Köpfe rollen lassen müsste. Als er dann auch tatsächlich Herr und Meister in den Niederlanden war, fühlte er sich frei zu tun, was er wollte. Unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit lie er die Grafen Egmont und Hoorn auf dem Grote Markt in Brüssel enthaupten. Dutzende niedere Adlige fanden auf dieselbe Weise den Tod. Wäre es dem Herzog gelungen, auch den Prinzen von Oranien festzunehmen, hätte ihn dasselbe Schicksal ereilt, oder das des Bürgermeisters von Antwerpen, Anton van Stralen, der grausam gefoltert wurde, bevor ihn der Tod  erlöste. Der Prinz wusste schon in einem frühen Stadium, dass sein Tod eine beschlossene Sache war, und hatte Zuflucht in der Dillenburg gesucht, dem Stammsitz der Nassauer. Von dort aus wagte er gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig im Jahre 1568 ein paar militärische Invasionen, jedoch ohne Erfolg. Gerade um den Unterstützern der nassauischen Brüder den Mut zu nehmen, hatte der Herzog von Alba mit den Brüsseler Exekutionen des Juni 1568 ein Exempel statuiert. Wilhelm von Oraniens Feldzug missglückte und der Prinz musste sich vor seinen Gläubigern verstecken. Darauf soll Kardinal Granvelle mit den Worten reagiert haben: ‘Nu is de prins een dood man’ [Jetzt ist der Prinz ein toter Mann]. Kein Grund also, einen Mörder auf ihn anzusetzen.

Aus demselben Jahr datiert ein Plan, Alba durch Meuchelmord zu beseitigen. In dem groen Konflikt, der die Niederlande im 16. Jahrhundert zerriss, gab es bei allen kämpfenden Parteien Pläne zur Beseitigung eines Gegners. Das hatte es schon immer gegeben. So soll auch der Koch des Beis von Tunis einmal an Karl V. herangetreten sein und dem Kaiser vorgeschlagen haben, den Bei zu vergiften. Was traditionsgemä vom selbstverständlich edlen Kaiser abgelehnt wurde. Das Ehrgefühl wehrte sich in der Regel gegen eine derart feige Methode. In mittelalterlicher Manier war der Kaiser durchaus bereit, in einem persönlichen Zweikampf gegen den moslemischen Widersacher anzutreten, wie das auch sein Ururgrovater Philipp der Gute mehrmals erklärt hatte. Die Wirklichkeit ist jedoch viel trivialer und die Anzahl der Mordpläne, die die Geschichte überliefert, ist zweifellos viel kleiner als die Anzahl der Pläne, die geschmiedet wurden. Geheimhaltung ist ja die erste Voraussetzung, um solche Vorhaben erfolgreich durchführen zu können.

Wilhelm von Oranien und Alba kannten einander persönlich. Sie hatten sich 1559 zur Durchführung des Vertrages von Cateau-Cambrésis am französischen Hof aufgehalten. Ihr persönliches Verhältnis zueinander tut eigentlich nichts zur Sache. Wilhelm von Oranien wusste, dass der eiserne Herzog dem Lager der Falken angehörte, und machte sich, was Albas Absichten betraf, keine Illusionen. Die Aussicht, das schier unbesiegbare spanische Heer gerade unter so einem renommierten Anführer besiegen zu können, war ein Hirngespinst. Vielleicht konnte man mit List mehr erreichen als mit militärischen Mitteln. Am 8. Oktober 1568 lag Wilhelm von Oranien mit seinem Heer vor Wittem, heute im äuersten Süden der niederländischen Provinz Limburg. Von da aus würde er bei Stokkem die Maas überqueren, um in Brabant einzufallen und sich möglicherweise Brüssels zu bemächtigen. Im Truppenlager des Prinzen schrieb eine unbekannte Person an einen anderen Unbekannten:

Weil es nicht passend war, dem vorher genannten Boten eine mündliche Antwort zu geben, habe ich, auf Anraten meines Herrn, des Prinzen, den Wunsch geäuert dies zu schreiben und Ihnen hierbei mitzuteilen, dass Eure Hoheit das Wohlwollen, das Sie seinem Dienst und dem Allgemeinwohl entgegenbringen, sehr schätzt. Sie können versichert sein, dass, falls Sie Ihre Pläne diesbezüglich in die Realität umsetzen, um das arme Vaterland von solch abscheulichen Grausamkeiten und Tyranneien zu erlösen, Seine Exzellenz Ihnen nicht undankbar sein wird. Dazu haben Sie auch das beste Mittel, solange Sie noch dort sind und leicht den einen oder anderen nützlichen Dienst diesbezüglich verrichten könnten, wie zum Beispiel die Munition des Herzogs von Alba in Brand zu stecken, oder einen Weg zu suchen, den Herzog von Alba zu töten, oder irgendeine andere Möglichkeit, die Sie selbst am besten beurteilen können, um auf diese Weise das Land von diesen barbarischen Tyrannen zu erlösen. Ich versichere Ihnen, sollten Sie eine solche gute Tat vollbringen wollen, dass Eure Hoheit der Prinz Ihnen und Ihren Erben eine Rente von 1000 Goldmünzen pro Jahr geben wird, und noch mehr, je nach der guten Tat, die Sie vollbringen werden. Hinzu kommt noch, dass Sie als Befreier des Vaterlands ewigen Ruhm und Ehre erwerben, und dass Ihnen auch die bereits erwähnte Hoheit der Prinz sehr dankbar sein wird, wenn Sie mir oft berichten, was dort geschieht.

Obwohl das Schreiben nicht bedeuten muss, dass Wilhelm von Oranien von den Mordplänen wusste der Briefschreiber kann ihn ja ohne das Mitwissen des Prinzen geschrieben haben , war es dieser Brief, der den Leidener Professor Blok so sehr aus dem Konzept brachte.  Der protestantische niederländische Historiker Van Schelven hatte damit weniger Probleme: Für ihn war die mögliche Beteiligung Wilhelm von Oraniens charakteristisch für das Wesen der Politik im 16. Jahrhundert. Und doch verschwieg er diese Frage in seiner Biografie des Prinzen, die er später veröffentlichte. Wären die niederländischen Historiker etwas besser mit den Publikationen ihrer belgischen Kollegen aus dem 19. Jahrhundert vertraut gewesen, hätten sie wissen können, dass die obige Frage nicht für sich allein stand, sondern Teil einer ganzen Reihe von vergleichbaren Fällen war.

Im April 1578 hatten die Königstreuen einen Mann gefasst, der beim Verhör gestand, dass er im Auftrag des Prinzen und dessen Mitstreiter ausgeschickt worden war, um Herzog Erik van Brunswijk zu beseitigen. Erik van Brunswijk war ein katholischer Haudegen, der mit seiner gefürchteten Bande im Dienst der Spanier stand. Die fragliche Person, Christoph von Holstein genannt, war dem Lebenslauf nach ein Verbrecher. Unter Folter gestand er, einen jüngeren Bruder ermordet zu haben, um sich dessen väterliches Erbe aneignen zu können. In Overijssel hatte er zwischen Ootmarsum und Goor ein paar Kaufleute überfallen, wobei zwei ums Leben kamen. Nach seiner Gefangennahme bei Gorinchem hatte Philipp van Marnix van St.-Aldegonde zusammen mit ein paar anderen niederländischen Herren bei ihm vorgefühlt, ob er als Gegenleistung für seine Freiheit nicht die eine oder andere tapfere Tat vollbringen wollte: Nach Lothringen gehen, um dort einen Anschlag auf Erik van Brunswijk zu verüben? Als Belohnung versprachen sie ihm einen guten Posten, zum Beispiel als Kapitän im Fort Rammekens bei Vlissingen.

Mit einer hübschen Geldsumme war Holstein daraufhin ausgeschickt worden. Als Zwischenstation diente das Haus Nassau in Köln, wo ihm ein Conciërge namens Roland weiterhalf. Dieser Roland vertraute ihm an, dass auf Initiative des Prinzen so manche vergleichbare Aktion im Gange war. Holstein sagte auch aus, dass sich in Wesel ein Bürger aus Aalst, Simon Janson genannt, aufhielt, der den Auftrag hatte, Don Juan beiseite zu schaffen. Wieder andere Leute fast alle kamen aus den Niederlanden sollten einen Anschlag verüben auf Hierges, den Sohn von Berlaymont, einen unerschrockenen Krieger und überzeugten Gefolgsmann des Königs. Holstein war in Dordrecht auch dem Prinzen von Oranien vorgeführt worden. Auf der Schnur seines Kettenhemds kauend hatte der Prinz ihn gefragt: Hast du noch immer vor, deinen Auftrag zu Ende zu führen? Worauf Holstein geantwortet hatte: – Ich wei nicht recht; ich habe Angst, dass es mir nicht gelingt und dass ich dieses Unterfangen mit meinem Leben bezahlen muss. Darauf hatte ihm Wilhelm Mut zugesprochen. Nach einem Moment des Schweigens, nahm der Prinz wiederum die Schnur in seinen Mund und spornte Holstein dazu an, doch vor allem das zu tun, was seine Ratgeber ihm nahe gelegt hatten. Gerade dieses Detail des auf einem Faden kauenden Prinzen macht, neben vielen anderen Details, die Schilderung von Christoph Holstein, sehr glaubwürdig. Die Niederschrift seiner Bekenntnisse wurde auf spanischer Seite nie als Propagandamaterial verwendet, was ein weiteres Indiz für seine Authentizität ist.

Ein halbes Jahr später starb der dritte spanische Generalstatthalter, Don Juan d’Austria. Am 31. Oktober 1578 erlag er, dreiig Jahre jung, dem Flecktyphus. Dass er in der Blüte seines Lebens dahingerafft worden war, gab genügend Anlass für Gerüchte, er sei vergiftet worden. Konkrete Indizien, die in diese Richtung weisen, hat man bis jetzt allerdings noch nicht gefunden. Don Juan hatte sich selbst politisch schon so unmöglich gemacht, dass man mit Gift nicht mehr nachhelfen musste. Wer allerdings durch Meuchelmord ums Leben kam, war der Sekretär Don Juans, Escovedo. Er war im Juli 1577 in einem finsteren Gässchen ermordet worden, nicht in den Niederlanden, sondern in Madrid, und zwar im Auftrag von Antonio Pérez, dem ersten Minister König Philipps II.

Ächtung

Von allen Herrschenden, die in diesem Buch umgebracht werden, war Wilhelm von Oranien der einzige, der als Geächteter starb. Die ersten der vielen Komplotte, die zur Beseitigung des Prinzen geschmiedet wurden zumindest die, welche Spuren in den Archiven hinterlassen haben gehen auf das Jahr 1573 zurück. Auf den missglückten Feldzug 1568 war ja die relativ erfolgreiche Revolution des Jahres 1572 gefolgt, die den Aufstand von Holland, Seeland und Städten und Regionen in anderen Provinzen zur Folge hatte. Eine offizielle Ächtung schien übrigens auch dann noch nicht nötig zu sein; es musste doch auch auf ‘normalem’ Wege möglich sein, den Prinzen und dessen Bruder Ludwig zu beseitigen. Am 21. Oktober 1573 schrieb Sekretär ayas aus Madrid an Luis de Requesens, der den Herzog von Alba als Generalstatthalter abgelöst hatte:

Angesichts des Unheils, das der Prinz von Oranien und sein Bruder Graf Ludwig der Religion angetan haben, der Unsinnigkeiten und der Ketzereien, die durch sie in die Niederlande eingezogen sind, des Aufruhrs, des Aufstandes und der Rebellion, deren Urheber sie sind, und weil man mit den Mitteln, die bisher eingesetzt wurden, nicht mit ihnen abrechnen konnte, besteht kein Zweifel, dass man Gott einen groen Dienst erweisen würde, wenn es, auf welchem anderen Wege auch immer, gelänge, sich dieser beiden so böswilligen Männer zu entledigen. Wollen Eure Exzellenz mit dem Urteilsvermögen und der Weisheit, die Sie auszeichnen, und mit der Zielstrebigkeit, die diese Sache erfordert, einmal darüber nachdenken und dafür sorgen, dass die beiden Brüder aus dem Weg geräumt werden, indem tatkräftige Männer mit dieser Aufgabe betraut werden, die über die notwendige Diskretion und den Mut verfügen, und ihnen eine Belohnung bieten, die Ihnen angemessen erscheint. Ich muss Ihnen übrigens mitteilen, dass nicht bekannt werden darf, dass dies im Auftrag und mit Wissen Seiner Majestät geschieht, denn das wäre unangebracht. (Gachard, Correspondance Taciturne VI, 4-5)

Requesens antwortete, nicht die geringste Hoffnung auf Erfolg zu haben: Wenn er überhaupt Leute fände, die behaupteten, den Mut zu dieser Tat aufzubringen, wären das meistens Betrüger, denen es nur ums Geld ginge, oder wer wei, vielleicht sogar Doppelspione: ‘Ik heb vernomen van enige van mijn eigen spionnen dat de vijanden van hun kant hetzelfde tegen ons proberen te doen; en misschien zullen zij beter slagen, want wij zijn omringd door Duitsers en Walen die zonder enige twijfel echte heidenen zijn’. (Gachard, Correspondance Taciturne VI, 6) [Ich habe von einigen meiner eigenen Spione vernommen, dass die Feinde ihrerseits das gleiche gegen uns zu unternehmen versuchen; und vielleicht haben sie mehr Erfolg, denn wir sind umringt von Deutschen und Wallonen, die ohne jeden Zweifel echte Heiden sind.] Es stellte sich also heraus, dass die Gegenseite um kein Haar besser war. Ein halbes Jahr später wurden im spanischen Lager drei Engländer wegen des Verdachts, Requesens ermorden zu wollen, festgenommen, doch die Richter konnten sie aus Mangel an Beweisen nicht verurteilen. Requesens schrieb an den zuvor genannten ayas, dass Wilhelm von Oranien auf der Hut sei: Der Prinz habe einen der Männer gefangen genommen, die Requesens angeboten hatten, ihn zu beseitigen, und man sagte, dass er sogar ein paar Männer hinrichten habe lassen, die Alba auf ihn angesetzt hatte, um ihn sich vom Halse zu schaffen.

Alle gelegentlichen Versuche Wilhelm von Oranien zu eliminieren, führten zu nichts. 1576 und 1577 – in den Jahren der Pazifikation von Gent und Wilhelms triumphalen Einzugs in Brüssel hatte sich der Widerstand gegen die spanische Krone so weit verbreitet, dass sein Tod keine realistische Option war. Das alles veränderte sich, nachdem Don Juan von Österreich und danach Alexander Farnese, Herzog von Parma, mit der Reconquista begonnen hatten. Die Union und der Friede von Arras gaben Farnese eine Basis, um die anderen Katholiken zurückzugewinnen, die sich mit dem spanischen König versöhnen wollten. Die Städte in Flandern und Brabant, die mit den nördlichen Provinzen in der Union von Utrecht vereint waren, hatten jedenfalls keine gemeinsame adäquate militärische Antwort auf Parmas Bestreben. Als die Stadt Maastricht im Jahr der beiden Unionen 1579 von Parma erobert wurde, bedeutete das in der öffentlichen Meinung einen Rückschlag für Wilhelm von Oraniens Popularität.

In diesem Jahr begannen die Vorbereitungen für die Ächtung Wilhelm von Oraniens. Kardinal Granvelle zufolge war dieser von ängstlicher Natur, und allein schon die Verhängung des Bannes würde ihn aus der Fassung bringen. Farnese dagegen war äuerst skeptisch. Als Feldherr, der sich inzwischen groer Erfolge rühmen konnte, bevorzugte er den ordnungsgemäen Krieg: Lieber ein Gefecht auf offenem Feld als etwas so Niederträchtiges und Hinterhältiges wie einen Meuchelmord. Auerdem erwartete er eine Lawine von Druckschriften eine Propagandaschlacht, wie sie die Aufständischen gut zu führen wussten. Philipp lie nicht locker, und nachdem die Friedensverhandlungen zwischen beiden Seiten in Köln ergebnislos geendet hatten, befahl er Parma, den Bann ungekürzt drucken zu lassen auf Französisch und auf Niederländisch. Auerdem mussten kurze Zusammenfassungen in anderen Sprachen veröffentlicht werden, um dem Handel der Holländer zu schaden. Dieser war es Philipp II. zufolge ja, auf den sich der ganze Aufstand stützte: ‘dat is het enige waarop de prins van Oranje staat kan maken om de oorlog vol te houden’ (Gachard, Correspondance Taciturne VI, 36) [das ist das Einzige, worauf der Prinz von Oranien sich verlassen kann, um den Krieg durchzustehen]. Farnese erlag dem Druck vonseiten des Königs und unterzeichnete den Bann am 15. März 1580.

Dieser Bann ist ein Meisterstück an Kanzleikunst. Er ruft dem Leser zuerst in Erinnerung, welche Wohltaten Prinz Wilhelm durch Kaiser Karl Gott hab ihn selig und König Philipp zuteil geworden waren. Doch der Prinz hatte sich als undankbar und ungehorsam erwiesen. Und dann wird der Ton der Bannschrift allmählich schärfer: was hatte dieser deutsche Fürst eigentlich in den Niederlanden zu suchen? Was hatte er anderes gesucht als persönlichen Ruhm und Reichtum und was hatte er anderes gebracht als Zwietracht, Rebellion, Krieg? Letztendlich mündete der Bann in eine bittere Verurteilung des Prinzen: Er war ‘de gemeine peste van der christenheid’ [die gemeine Pest des Christentums]. Derjenige, der ihn beseitigen würde, sollte grozügig belohnt werden: Vergebung früher begangener Verbrechen höchst verlockend für Kerle mit einem Strafregister , Erhebung in den Adelsstand und ein enormer Geldbetrag. Letzterer sollte aus den konfiszierten Gütern Wilhelm von Oraniens, die in spanischem Besitz waren, aufgebracht werden. Dieselbe Passage in dem Bann enthielt jedoch ein Wort, weswegen der politische Kampf gegen Philipp begonnen hatte. Der König erkannte sich nämlich selbst das Recht zu, Wilhelm von Oranien mit dem Bann zu belegen, indem er sich selbst ‘als prince absoluit’ der Niederlande betrachtete. Dies ist eine der frühesten Erwähnungen des Wortes, von dem der Ausdruck ‘Absolutismus’ abgeleitet wird. Unbewusst hat die königliche Kanzlei in diesem Wort die Essenz dessen wiedergegeben, worum es bei dem Kampf in den Niederlanden ging.

Wilhelm von Oranien antwortete auf den Bann mit seiner Apologie, die seine Hofprediger verfasst hatten. Dabei handelt es sich um eine ziemlich lange Abhandlung, die in verschiedenen Sprachen veröffentlicht wurde, worin Wilhelms Auftreten gegenüber dem In- und Ausland gerechtfertigt wird. Doch in demselben Schriftstück greifen die Verfasser König Philipp auf grobe Art und Weise an, auch in Bezug auf dessen Privatleben. Wieder ist es bezeichnend für die Verehrung von Prinz Wilhelm in den Niederlanden, dass der raue Ton der Apologie der Umgebung des Prinzen und nicht ihm selbst zur Last gelegt wird, obwohl er sich doch mit dem Tenor derselben einverstanden erklärte, indem er der Veröffentlichung zustimmte. Die Stände von Holland verurteilten die tendenzielle Darstellung und weigerten sich, die Weisung anzunehmen. Die Generalstaaten befolgten die Weisung wohl und ‘verlieen’ König Philipp als Landesherren (22. Juli 1581), um darauf Franois, dem Herzog von Anjou und Bruder des französischen Königs, die Souveränität anzubieten. Doch der Bann verfehlte seine Wirkung nicht. Wer will schlielich nicht reich werden, Ruhm erlangen und gleichzeitig Gott und Vaterland dienen? Viele! Oder Gott und König dienen und den Rest verschmähen? Das waren die Gefährlichsten, die Fanatischsten. Und so fanden sich also Leute, die einen Anschlag auf Wilhelm von Oranien durchaus riskieren wollten. Im Sommer 1584 sollten sich vier Auftragsmörder in Delft herumtreiben, um auf einen günstigen Moment zu warten und zuzuschlagen. Zwei Komplotte zeigten Wirkung: die Verletzung des Prinzen durch Juan Jaureguy und das fatale Attentat von Balthasar Gerards.

Juan Jaureguy

In Antwerpen lebte ein spanischer, in Biskaya geborener Kaufmann namens Gaspar Añastro, der durch ein unglückliches Zusammentreffen verschiedener Umstände in finanzielle Nöte geraten war und bankrott zu gehen drohte. Die grozügige Belohnung für die Ermordung von Prinz Wilhelm erschien ihm als ein geeignetes Mittel, um seine finanziellen Probleme zu lösen. Er wagte sich jedoch nicht selbst an die Sache heran, sondern versuchte die beiden jungen Biskayer, die in seinem Dienst standen, dazu zu überreden. Könnte sein Buchhalter Antonio Venero, ein junger Mann aus Vitoria, sich nicht dafür erwärmen? Antonio lehnte ab, das war nichts für ihn. Sein Schreiber und Bote, Juan Jaureguy, war ein viel gröberer Bursche, der das aus Verbundenheit zu seinem Meister schon in die Hand nehmen wollte. Man besorgte ihm eine Pistole, mit der er ein einziges Mal übte, weil er noch nie einen Schuss abgefeuert hatte. Danach erkundete er das Terrain. Es stellte sich heraus, dass es an Sonntagen überhaupt nicht schwierig war, in die Nähe des Prinzen zu kommen: dann tafelte dieser nämlich in der Öffentlichkeit.

Am Sonntag, dem 18. März 1582, wartete Jaureguy an der Tür des Speisesaals, in dem der Prinz mit seiner Familie und ein paar Adligen speiste, auf seine Chance. Als der Prinz in Gesellschaft einiger adliger Berater nach drauen gekommen war, wies er einen von ihnen auf die Gobelins hin, welche die Wände schmückten. In diesem Moment drängte Jaureguy sich nach vorne und tat so, als ob er ein Bittgesuch übergeben wollte, um dadurch die Hellebardiere irrezuführen. Doch anstelle eines Gesuchs zog er seine Pistole und schoss. Der Prinz, der sich schon nach vorne gebeugt hatte, um das erwartete Papier in Empfang zu nehmen, wurde von der Kugel getroffen, die links unter dem Ohr in seinen Kopf eindrang, den Gaumen durchbohrte und durch die rechte Wange wieder austrat.  Jaureguy lie seine Waffe fallen, doch die um ihn herum stehenden Edelleute hatten ihre Degen schon gezückt und ihn im Moment der Entrüstung sofort getötet. Der Prinz soll, obwohl er doch so eine schwere Mundverletzung hatte, darauf gedrängt haben, den jungen Mann zu verschonen doch es war bereits vergebens. Zu den anwesenden Franzosen, den Anhängern des Herzogs von Anjou, soll er noch gesagt haben: ‘Ach wat verliest Zijne Hoogheid een trouwe dienaar.’ [Ach, welch treuen Diener verliert seine Hoheit.]

Die Panik war gro. Sofort ging das Gerücht um, der Prinz sei tot, und man glaubte zu Beginn, dass die Franzosen den Mord geplant hätten. Der tote Jaureguy wurde untersucht und es stellte sich heraus, dass er ein ganzes Sortiment an Dingen bei sich hatte, durch die er leicht identifiziert werden konnte: Es steckten Spanier dahinter! Sein Meister hatte sich schon lange aus dem Staub gemacht und am Tag, bevor Jaureguy den Anschlag verüben sollte, die Stadt verlassen. Doch Antonio Venero, der Buchhalter, wurde verhaftet. Auerdem verhaftete das Gericht Pater Antonius Timmerman. Dieser in Duinkerken geborene Dominikaner war in Antwerpen Kaplan der spanischen Nation und hatte als Freund des Hauses von Añastro regelmäig in dessen Haus die Messe gehalten. Bei Timmerman hatte Jaureguy am Freitag vor seiner Tat gebeichtet. Venero war laut der Berichte über sein Verhör ein sympathischer und ehrlicher Kerl, der nichts Böses im Sinn hatte. Pater Timmermann berief sich anfangs noch auf das Beichtgeheimnis, konnte aber der Folter nicht standhalten. Ob er Jaureguy in dessen Vorhaben bestärkt und ihm vergeben hat oder nicht, ist einigen seiner Ordensbrüder bis ins 20. Jahrhundert Grund zur Besorgnis gewesen. Venero und Timmermann waren streng genommen keine Mitschuldigen; doch sie hatten sich ebenso wenig dazu überwinden können, Añastro und Jaureguy bei Gericht anzuzeigen. Somit waren sie verurteilt. Wilhelm von Oranien drängte auf einen kurzen, schmerzlosen Tod ohne unnötige Quälereien. Auf dem Marktplatz wurden beide Männer erwürgt, gevierteilt und an den vier Toren der Stadt zur Schau gestellt die für Königsmörder gängige Strafe. Ihre Köpfe, einschlielich dessen von Jaureguy, wurden auf Stangen aufgespiet und auf dem Schloss zur Schau gestellt.

Der Herzog von Parma ging zunächst davon aus, dass der Anschlag geglückt war und zeigte sich entzückt über Wilhelms vermeintlichen Tod:

Mir fehlen die Worte, um Eurer Majestät auszudrücken, wie zufrieden ich bin, dass dieser Kerl die Strafe bekommen hat, die er verdiente, obwohl er, in Anbetracht seiner Taten, schlechter hätte enden dürfen; mein Herz krampft sich zusammen, wenn ich sehe, wie lange die vielen Niederträchtigkeiten und Beleidigungen der Religion, dem Glauben und Eurer Majestät gegenüber warten mussten, ehe ihnen Recht widerfahren ist, und dass es niemanden gab, der ihnen dieses zuerkannt hätte. Aber letztendlich können wir Gott danken, der es zugelassen hat, dass dies geschehen ist, als der Moment dafür gekommen zu sein schien, indem ein so schlechter und so gemeiner Mann aus der Welt geschafft wurde und diese armen Länder von einer Pest und einem Gift wie ihm befreit wurden.

Balthasar Gerards

Der Mann, der Prinz Wilhelm am 10. Juli 1584 ermordete, handelte aus tiefster Überzeugung. Er brauchte den Bann nicht, um seinen Plan zu verwirklichen. Der Überlieferung zufolge hatte er schon im Alter von zehn Jahren bei einem Streit einen Dolch knallhart in eine Tür gerammt und gesagt, dass er es beim Prinzen von Oranien genauso machen würde. Er hie Balthasar Gérard und war in dem kleinen Dorf Vuillafans, südöstlich von Besanon, in der Franche-Comté geboren worden, jener Freigrafschaft, aus der die Habsburger viele gelehrte Juristen in die Niederlande hatten kommen lassen. Nun kam von dort ein Mann, der fest entschlossen war, dem Recht auf seine Art zu dienen. Anders als Juan Jaureguy bereitete er sich gut vor, offenbar in der Absicht, dabei nicht selbst das Leben zu lassen.

Gerards hatte einen Cousin, der Sekretär beim Grafen von Mansfeld, dem Statthalter von Luxemburg war. Zwei Jahre lang, von März 1582 bis März 1584, stand er bei diesem Cousin im Dienst, bei welcher Gelegenheit er ein paar Siegel von Mansfeld abzweigte. Mit diesem Lockmittel wollte er Wilhelm von Oranien von seiner Nützlichkeit überzeugen. In Trier beichtete er bei einem Jesuitenpater. Danach zog er nach Doornik , dem Aufenthaltsort des Herzogs von Parma, der sich jedoch nichts von dem jungen Mann und seinem Plan versprach. Aber er legte ihm auch nichts in den Weg, vorausgesetzt, dass nur sein Name aus dem Spiel gelassen würde. Geld bekam er keines. Parmas Berater, Christophe d’Assonleville, warnte ihn vor den Gefahren, gab ihm Tipps für die Reise nach Delft und wünschte ihm viel Erfolg. Anschlieend beichtete Gerards sein Vorhaben ein zweites Mal, nun bei einem Franziskanerpater. Dieser soll ihm für sein Vorhaben Mut zugesprochen haben.

Sobald er in Delft angekommen war, sollte Gerards zu allererst das Vertrauen des Prinzen und dessen Beraters, dem Pfarrer L’Oyseleur de Villiers, für sich gewinnen. Balthasar Gérard nannte sich Franois Guyon und behauptete, aus Besanon zu stammen, wo sein Vater wegen seines protestantischen Glaubens verbrannt worden sei. Die Siegel von Mansfeld schienen sich anfangs nachteilig für den jungen Mann auszuwirken: Weil sie den französischen Verbündeten von gröerem Nutzen waren, schickte man ihn zum Herzog von Anjou, der sich zu dieser Zeit in Nordfrankreich aufhielt. In Frankreich angekommen stellte sich heraus, dass der Herzog am 10. Juni gestorben war, eine Nachricht, die Gerards so schnell wie möglich wieder nach Delft überbringen musste. Anfang Juli war er zurück in der Stadt und man lie ihn zu Wilhelm von Oranien, der im Bett lag. Im Nachhinein bedauerte er, dass er in diesem Moment keine Waffe bei sich gehabt hatte, denn dann hätte er den Prinzen töten und sich aus dem Staub machen können. Für eine weitere Reise nach Frankreich bekam er von Villiers der Gipfel der Tragödie! zwölf Taler, um Schuhe und Kleider zu kaufen, doch er besorgte sich damit zwei Pistolen.

Am 10. Juli begab er sich zuerst unbewaffnet zum Prinzen, der im Begriff war, sich mit nur einem einzigen auswärtigen Gast, Rombout Uylenburg, einem der Bürgermeister von Leeuwarden, zu Tisch zu begeben. Des weiteren waren die Frau des Prinzen, Louise Coligny, seine Schwester Catharina und ein paar Töchter anwesend. Louise de Coligny soll wegen des schäbigen Aussehens von Balthasar Gerards erschrocken sein, doch der Prinz beruhigte sie und bat ihn, nach dem Essen zurückzukommen. Diese Zeitspanne benützte Balthasar Gerards, um seine Pistolen zu holen. Nach dem Essen, als der Prinz den Speisesaal verlie, ging Balthasar Gerards unversehens mit seinen Pistolen auf den Prinzen zu und bevor dieser oder die Wache sich dessen versahen, feuerte er seine Kugeln ab. In der Brust getroffen sagte der Prinz (auf Französisch): – ich bin verletzt, und: – mein Gott, mein Gott, hab Mitleid mit mir und diesem armen Volk. Die durch die Schüsse alarmierten Anwesenden trugen ihn entsetzt in den Speisesaal, wo er schwer verletzt auf den Tisch gelegt wurde. Seine Schwester fragte ihn noch auf Deutsch, ob er seinen Geist in die Hände Jesu Christi legen wolle. Darauf konnte der Prinz noch ein schwaches ‘Ja’ zu Gehör bringen. Und es war vorbei.

Vor den Einschusslöchern in der Mauer des Delfter Prinzenhofs hat sich so manches niederländische Kind darüber den Kopf zerbrochen, wie es denn nun genau geschehen sei. Denn wie gerne wollen wir doch den genauen Hergang des Geschehens kennen? Und als das Kind etwas älter war, hat es sich gefragt, wie ein schwer verletzter Mann solch schöne Worte ausgesprochen haben kann. Sind sie nicht fast zu schön, um wahr zu sein? Aber wie eine Obduktion ergab, hatte ihn der Schuss nicht ins Herz getroffen. Bei der vor kurzem durchgeführten Restaurierung von Wilhelm von Oraniens Grabmal ist ein eisernes Kistchen aufgetaucht. Was es enthält, ist unbekannt. Königin Beatrix gab zu dessen Öffnung nämlich keine Zustimmung. Warum nicht? Könnte es womöglich doch ein durchschossenes Herz enthalten, was bedeuten würde, dass Wilhelms berühmte letzte Worte definitiv zur Mythologie gezählt werden müssen? Aber wenn die letzten Worte des Prinzen ‘hab Mitleid mit diesem armen Volk’ gelautet haben, dann hat das Volk doch auch ein Recht darauf zu wissen, was in diesem Kistchen ist? Impliziert die Einheit der Niederlande mit Wilhelm von Oranien das nicht?

Sogar ein kalvinistischer Historiker wie A. Th. van Deursen rührt die Frage der letzten Worte in seinem biografischen Portrait von Wilhelm von Oranien nicht an. Und doch gibt es auch Dinge, die für die Authentizität der Worte sprechen: sie wurden nicht später festgehalten, wie viele andere Sprüche, sondern noch am selben Tag, ja sogar noch in derselben Stunde. Sowohl die Versammlungen der Staaten von Holland als auch jene der Generalstaaten, die wenige Stunden später begannen, erwähnten den Ausspruch in ihren Protokollen. Sollte es sich nun um eine Fälschung handeln, dann hätte sich nicht nur jemand diese Worte ausdenken müssen, sondern dies in der Panik des Moments auch den anderen mitteilen müssen, und zwar unter strikter Geheimhaltung. Dieses Szenario ist eigentlich noch viel unwahrscheinlicher als die Echtheit der letzten Worte von Wilhelm von Oranien, der schon in seinen Briefen vergleichbare Äuerungen getätigt hatte, zum Beispiel: ‘Moge de Here God dat alles doen slagen, tot zijn glorie en tot troost van zijn arme volk.’ (Groen, Archives, IV, 245) [Möge Gott der Herr das alles gelingen lassen, zu seinem Ruhm und zum Trost seines armen Volkes.]

Bei den Mitstreitern des Prinzen herrschte überall in den Niederlanden Niedergeschlagenheit, ebenso wie es überall in den Niederlanden bei den Gegnern Beifall und Hoffnung auf bessere Zeiten gab. Der Papst und der König lieen das Tedeum anstimmen. Aber das Ende des Aufstands bedeutete der Tod des Prinzen noch lange nicht. Die Generalstaaten und die Staaten von Holland beschlossen unverdrossen weiterzumachen. Von einer ‘nutteloze daad’ [nutzlosen Tat] zu sprechen, wie Henri Pirenne, ginge zu weit. Eigentlich warf Pirenne dem Prinzen vor, dass er von einem nationalen Führer zu einem Statthalter von Holland und Seeland herabgesunken war. Das war zweifellos richtig. Aber wäre Wilhelm von Oranien am Leben geblieben, hätte man ihn einen Monat später zum Grafen von Holland und Seeland ernannt, wenn auch unter sehr strengen Bedingungen. Das hätte dem Hausieren mit der Souveränität, wie sie in den Jahren um 1580 vorkam, ein Ende gemacht, und ebenso in den innerstaatlichen politischen Verhältnissen Klarheit geschaffen. Ohne Wilhelm von Oranien sind die Jahre nach 1584 für die Aufständischen äuerst mühsam verlaufen. Die englische Intervention in der Person von Leicester, der mehr Schlechtes als Gutes anrichtete, hätte unterbleiben können, wenn Wilhelm am Leben gewesen wäre. Oder wer wei, vielleicht wäre gerade der adelige Wilhelm mit Leicester viel taktvoller umgegangen und hätte eine Zusammenarbeit zu Stande bringen können, die effektiver gewesen wäre als jene zwischen Leicester und dem organisatorisch, aber nicht kommunikativ fähigen Oldenbarnevelt. Wilhelm von Oranien hatte sich um die Sache der freien Provinzen so verdient gemacht, dass Holland und Seeland ein Jahr später seinen Sohn Moritz zu ihrem neuen Statthalter ernannten. Wilhelms Neffe Wilhelm Ludwig folgte ihm als Statthalter von Friesland nach. Gemeinsam entwickelten seine Nachfolger eine Militäroffensive, was zweifellos von den internationalen politischen Entwicklungen begünstigt wurde, da Philipp II. seinen Feldherren Parma nach Frankreich dirigierte. Aber war nicht genau das das Ziel von Prinz Wilhelm gewesen: Frankreich am Krieg gegen Spanien zu beteiligen? Unterdessen wuchsen die Seemacht und das ökonomische Potential der jungen Republik Jahr für Jahr. Hatte Philipp II. nicht selbst geschrieben, dass der Handel der Holländer das Fundament ihres Krieges war? Er musste es schlielich wissen, kamen sie doch bis in sein Spanien, um Güter zu kaufen und zu verkaufen.