Robert Fruin

Die drei Perioden der niederländischen Geschichte

(1865)

Übersetzung aus dem Niederländischen: Jacqueline Bosch und Matthias Schmid, Wien


Redigiert von Maria Elisabeth Weissenböck, Wien

Robert Fruin (1823-1899) war von 1860 bis 1894 Universitätsprofessor für niederländische Geschichte in Leiden. Zusammen mit G. Groen van Prinsterer und R.C. Bakhuizen van den Brink hat er die Grundlagen für das wissenschaftliche Studium der niederländischen Geschichte geschaffen. Obwohl er nur ein Buch geschrieben hat Tien Jaren uit de Tachtigjarige Oorlog 1588-1598 [Zehn Jahre aus dem achtzigjährigen Krieg 1588-1598] (erster Druck, 2 Bde., Leiden, 1857-1858) haben ihn seine zahlreichen groen und kleinen Artikel, die meist aus Rezensionen hervorgegangen sind, zu dem einflussreichsten Historiker der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gemacht. Über ihn schrieb u. a. J.W. Smit, Fruin en de partijen tijdens de Republiek (Diss. Utrecht; Groningen, 1958), worauf C. Offringa in Johannes van Vloten, Aufklärung en liberalisme [Johannes van Vloten, Aufklärung und Liberalismus] BMGN 83 (1969) 150-212, vor allem 191 ff, reagierte.

Der hier abgedruckte Artikel aus dem Jahr 1865 ist einer der Klassiker, auf den oft zurückgegriffen wird. Nicht nur der Grundgedanke der Darlegung, sondern auch die Denkweise eines Historikers aus der Zeit Thorbeckes verdient Aufmerksamkeit. Diese wird unter anderem deutlich, wenn Fruin vom Leitprinzip in der Entwicklung der einzelnen Staaten spricht und besonders die politischen Verhältnisse hervorhebt.

Ich unterschreibe völlig, was Guizot einst gesagt hat, dass man der Geschichte auf ihrem derzeitigen Stand am meisten mit guten Monographien nutzen kann. Bevor nicht einzelne Besonderheiten in ein besseres Licht gerückt werden, ist an eine Übersicht des ganzen Verlaufes der Geschichte, die vollends in allen Teilen zufrieden stellen kann, nicht zu denken. Deshalb verwenden wir unsere Kräfte besser für die Erklärung der Besonderheiten, als sie an allgemeine Betrachtungen zu verschwenden, die nur teilweise stimmen. Man soll nicht mit dem Bau anfangen, ehe man das Material beisammen hat.

Ich möchte mein Einverständnis mit dieser Äuerung Guizots hervorheben, weil ich dieses eine Mal davon abweichen werde. Ich werde versuchen, in groben Umrissen eine Charakteristik der politischen Geschichte der Niederlande in ihren unterschiedlichen  Perioden zu skizzieren. Es sind allgemeine Betrachtungen, mit denen ich den Leser beschäftigen werde. Ich verheimliche aber nicht, dass ich selbst diesen nicht die Zuverlässigkeit beimesse, die dem Ergebnis der eingehenden Untersuchung eines bestimmten Ereignisses eigen ist. Allgemeine Betrachtungen sind, gerade weil so viele Besonderheiten übersehen werden, notwendigerweise ungenau und nur teilweise wahr. Doch das ist der merkwürdige Fehler aller Abstraktionen, und doch anerkennen alle, dass diese nützlich sind. Und es ist auch gut, dass wir manchmal von den zahlreichen Besonderheiten, mit denen wir uns meist beschäftigen, eine Weile ablassen und uns dem Bild des Ganzen widmen, so wie wir dieses, infolge der Untersuchungen der Besonderheiten, bleibend vor Augen haben. Die Betrachtung des Ganzen treibt uns dann vielleicht zur neuerlichen Untersuchung jener Teilgebiete an, die noch nicht so richtig bekannt sind; vor allem der Themen, die für die allgemeinen Erkenntnisse von besonderer Bedeutung sind.

Unter diesem Blickwinkel betrachte ich selbst das Folgende und so soll es auch der Leser betrachten.

Es gibt Völker, die Jahrhunderte hindurch in ihrer staatlichen Entwicklung eine einheitliche Linie verfolgt haben. Sie haben seit frühesten Zeiten unverändert dasselbe Ziel verfolgt, mal geradlinig, dann wieder, wenn eine höhere Gewalt sie daran hinderte, eine Zeit lang über Umwege, aber immer in dieselbe Richtung. Ihre Geschichte hat daher auch in jeder Periode denselben Charakter; dem Zeitgeist entsprechend, aber nicht mehr als das, im Grunde immer unverändert.

Nehmt zum Beispiel England und Frankreich! Seit der Entstehung dieser Reiche bildet deren Geschichte ein gleichmäiges, ununterbrochenes Ganzes. Sie bewegt sich stetig in dieselbe Richtung auf ein Ziel zu, das von Anfang an gesetzt war. Der Keim, der sich schon bei der Entstehung des Staates erkennen lässt, entwickelt sich im Laufe der Jahrhunderte zu dem hohen Stamm, den wir vor uns sehen und der seine volle Gröe noch nicht erreicht hat. Er wächst aber vor unseren Augen weiter und behält seine ursprünglichen Besonderheiten bei.

In Frankreich sehen wir, wie sich während der Regierungslosigkeit des frühen Mittelalters die Oberherrschaft der Krone langsam herausbildet. Noch ist der Kreis, innerhalb dessen die Macht bestimmt wird, klein, er wird aber stetig gröer und dehnt sich aus. Damit wächst auch die königliche Macht über die der Vasallen hinaus, der sie zuerst gleich gesetzt war. Die ganze Geschichte Frankreichs zeigt dieses zweifache Bestreben nach Ausdehnung der Reichsgrenzen einerseits und nach der Festigung der Oberherrschaft des Fürsten, zu Gunsten der gesellschaftlichen Gleichheit der Untertanen andererseits. Für eine Weile hat es den Anschein, als würde dieses Bestreben eingestellt und eine andere Richtung eingeschlagen: Bald hört die Störung aber auf und die Geschichte folgt wieder ihrem alten Lauf. Sogar der blutige Umsturz des 18. Jahrhunderts, der für immer mit der Vergangenheit zu brechen und eine neue Zukunft einzugehen gedachte, ist unbewusst auf den alten Weg zurückgekehrt. Im politischen Sinne hat er zu nichts als Eroberungskriegen, zur Festigung der monarchischen Macht auf Kosten der höheren Stände und zur Gleichberechtigung aller Bürger vor dem Gesetz geführt.

In der englischen Geschichte ist der Hang zur Ausdehnung der Freiheiten und Rechte des Volkes das Leitprinzip. Die Nachfolger Wilhelms des Eroberers brauchten ihre Oberherrschaft nicht über die Macht groer Lehnsmänner zu erheben, oder das Volk gegen die Unterdrückung durch zu stolze Adelige zu beschützen. Genauso wenig mussten sie die Grenzen ihres Gebietes abstecken. Die Grenzen wurden vom Meer gebildet und waren mühelos zu erreichen. Und die Macht des Königs überstieg die aller anderen Groen auf unvergleichbare Weise. Die Herrschaft der Krone war die einzige, die sowohl kleinen als auch groen Leuten gefährlich werden konnte. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, taten sich die Barone zusammen und riefen das Bürgertum zu Hilfe. Ihr Widerstand gegen die Herrschsucht des Königs führte rasch zur Gründung eines Parlaments, das ein Gegengewicht zur Alleinherrschaft des Königs bilden sollte. Im gegenseitigen Ausgleich dieser beiden Staatsgewalten, in beider Bestreben die Oberhand zu gewinnen und in den nicht enden wollenden Versuchen das zerbrochene Gleichgewicht wieder herzustellen, um die bürgerliche Freiheit zu garantieren, zeigt sich der bemerkenswerte Charakter, durch den sich die englische Geschichte von der aller anderen Staaten unterscheidet.

Sowohl in der englischen als auch in der französischen Geschichte sehen wir also eine beständige Entwicklung in ein- und dieselbe Richtung, ein andauerndes Annähern an ein zuvor festgelegtes Ziel. Alle groen Ereignisse sind wie Glieder einer Kette. Sie stehen nicht nur für sich allein, sondern zeichnen sich auch durch ihren Zusammenhang aus. An ein und derselben Aufgabe haben alle groen Staatsmänner immer weiter gearbeitet. Die Folgen davon sind heute noch zu sehen. Wie sicher ist daher das Urteil über die Tätigkeiten der Parteien und die Bemühungen der Staatsdiener? Haben sie sich in die Richtung bewegt, in die sich die Nation fortbewegt? Oder haben sie versucht den Lauf der Ereignisse aufzuhalten und umzulenken? Das ist der Mastab, an dem wir ihre Verdienste messen. Denn der Politiker, der die Nation abseits des Weges führen möchte, auf der sie sich aus eigenem Antrieb bewegt, überschätzt seine Kraft und verwendet sie nicht zu Gunsten, sondern zum Nachteil seines Volkes. Sowohl die Stuarts, die die Rechte des Parlaments einschränkten, als auch das Long Parliament , das sich des Gegengewichts der Krone entledigen wollte, haben sich an den Interessen und Wünschen des englischen Volkes vergriffen. Der Adel und der dritte Stand von Frankreich, die zu unterschiedlichen Zeiten die Macht der Krone in all zu enge Grenzen zurückdrängen wollten, haben sich nicht weniger gegen den Geist der Nation versündigt als die Könige, die aus Bequemlichkeit und Selbstsucht versäumten, das Volk gegen die Groen zu beschützen und den Fremden gegenüber den alten Kriegsruhm der Gallier und Franken zu bewahren. Die Geschichte lehrt, wie solche Vergehen zu jeder Zeit vom Volk gerächt und durch die Folgen bestraft worden sind.

Hat die Geschichte unseres Volkes einen genauso erkennbaren und beständigen Charakter? Ist auch sie vom Anfang bis in die Gegenwart ein fortwährendes Ganzes, eine Verkettung von gleichartigen Fakten? Im Gegenteil! Ein jeder, der unsere politische Geschichte mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet hat, wei, dass sie einen solch beständigen Charakter nicht vorzeigen kann [1] . Unsere Geschichte gliedert sich in drei Perioden, die durch tiefe Einschnitte von einander getrennt sind. Jede Periode für sich bildet ein Ganzes. Die Revolution des 18. Jahrhunderts hat nicht nur die ehemaligen republikanischen Einrichtungen zerstört, sondern auch vollkommen mit der Tradition der Republik gebrochen. Die groe Umwälzung ist vielleicht für keinen Staat so radikal gewesen wie für die Vereinigten Niederlande. Ich rede nicht von der sozialen, sondern von der politischen Tendenz dieser Umwälzung. Auf gesellschaftlicher Ebene dürfte sich die Revolution in Frankreich noch stärker ausgewirkt haben, auf politischer Ebene waren ihre Auswirkungen in Frankreich, im Vergleich zu den Niederlanden, nur gering. Tocqueville hat nachgewiesen, dass die staatliche Organisation, wie sie nach der Umwälzung vollzogen worden ist, schon unter dem alten Regime angefangen hatte. In den Niederlanden hingegen ist all das Existierende bis auf die Fundamente zerstört und durch ein ganz neues Gebäude ersetzt worden.

Genauso radikal war auch die Umwälzung, aus der zwei Jahrhunderte früher die Republik  hervor gegangen war. Zwar hatte man damals die staatlichen Einrichtungen zum gröten Teil beibehalten, aber man hatte angefangen, sie im Gegensatz zur früheren Denkweise zu reformieren und zu entwickeln. Nicht nur der fremden Übermacht hatte man abgeschworen, sondern zugleich auch der bis dahin von den Landesherren verfolgten Politik. Nach dem Aufstand gegen Philipp strebte man vor allem nach Unabhängigkeit der Körperschaften und Personen von der allgemeinen Verwaltung. Vor dem Aufstand war es die Ordnung, die Abhängigkeit von den Teilen des Staates von der zentralen Regierung, worauf abgezielt wurde. Bis zu diesem Wendepunkt unserer Geschichte herrschte wenn ich es so nennen darf die Zentripetalkraft; ab dann begann die Zentrifugalkraft zu herrschen und sie herrschte bis zur groen Revolution des 18. Jahrhunderts, die uns, wie wir schon bemerkten, wieder in eine neue Richtung getrieben hat.

Von diesen drei Perioden ist uns die letzte aus dem alltäglichen Umgang bekannt. Die mittlere, die Geschichte der Republik, ist in ihrem ganzen Umfang nicht so gut bekannt, wie sie es verdient, wird aber trotzdem weniger vernachlässigt als die erste Periode, die der ‘landsherrlichen Verwaltung’. Kein Wunder; das, was uns am nächsten ist, spricht uns am meisten an. Auerdem flöt der Freiheitsdrang unserer Republik uns freiheitsliebenden Niederländern mehr Sympathie ein als der Hang unserer früheren Fürsten zu Zentralisation und geordneter Verwaltung. Dieser Freiheit und ihrer Autonomie verdanken unsere Vorfahren die Vorrangstellung, die sie in Europa erworben und die wir verloren haben, aber auf die wir immer noch stolz sind. Unter der Verwaltung ihrer Fürsten hätten die Niederlande nie diese Bedeutung erlangt. Ein einziger Blick auf Spanien, wie es unter dem Regierungssystem, das auch für unser Land vorgesehen war, geworden ist, lässt uns die republikanischen Väter segnen, durch deren Mut und Beharren unserem Vaterland ein solches Schicksal erspart geblieben ist. Die Republik hat unsere Sympathie, mit ihrer ruhmreichen Geschichte befassen wir uns gerne; die Zeit der Monarchie hingegen empfinden wir als eine Zeit der Tyrannei, der wir glücklicherweise entkommen konnten und die nicht zu genauerer Betrachtung einlädt.

Wie ruhmreich die Geschichte der Republik auch sein mag, nichts auf der Welt ist vollkommen, sogar die Sonne hat Flecken, die zwar im Glanze ihres Lichtes verschwinden, aber einem scharfen Auge doch nicht entgehen. Hat die Freiheit, die unsere Republik in so glänzendem Licht erscheinen lie, nicht ebenfalls ihre Defizite gehabt? Leider sind sie sogar für ein nicht so scharfes Auge nur allzu sichtbar. Die Freiheit unserer Republik ging mit der Machtlosigkeit der Regierung einher; die Selbständigkeit der Teile des Staates führte zu Zwietracht und Widerstand. Willkür und revolutionäre Gewalt mussten in heiklen Augenblicken den Streit schlichten, weil es an anerkannter und respektierter Autorität mangelte. Die Kräfte, die, wären sie richtig eingesetzt worden, etwas Groes hätten hervorbringen können, sind nicht selten wegen Mangels an Führung nutzlos verloren gegangen oder richteten sich sogar feindlich gegeneinander. Bei Betrachtung der Schicksale unserer Republik müssen wir immer wieder mit Bedauern feststellen, dass das freie und tapfere Volk der Niederländer unter einer so unzweckmäig organisierten und so machtlosen Verwaltung stand.

Und das war, das müssen wir zugeben, die Folge des Aufstandes gegen den Landesherrn. Der Aufstand hat die Regierungsform zerstört, die von unseren Fürsten allmählich etabliert worden war und, an sich zweckmäig, mit der Freiheit vollkommen vereinbar gewesen wäre. Wir haben uns unsere Freiheit sicher nicht zu teuer erkauft, aber wir haben doch einen hohen Preis dafür gezahlt und so viele hervorragende staatliche Einrichtungen dafür geopfert, wie sie uns unsere früheren Landesherren geschenkt hatten. Die Redlichkeit fordert, dass wir das eine wie auch das andere erkennen und dass wir die Befürworter der Freiheit nicht im Überma auf Kosten derer preisen, die die Ordnung und die Regierung bewahren wollten. Diesem Fehler verfallen unsere Geschichtsschreiber gewöhnlich. Vielleicht war es früher, während der Republik, unmöglich sie zu vermeiden. Lasst uns, die wir unter anderen Umständen leben, sie nicht ohne nachzudenken wiederholen.

Die Autoren, die in der Zeit der Republik geboren und erzogen wurden, konnten schwer ein unparteiisches und angemessenes Urteil über die Regierungstaten der Fürsten fällen. Freiheit war für sie mit der republikanischen Regierungsform verbunden, und wie die alten Römer waren sie der Meinung, dass die Freiheit mit der Vertreibung der Könige anfing. In jedem Versuch, die Macht der allgemeinen Regierung auf Kosten der alten Privilegien der Städte und Gebiete auszudehnen, sehen sie ein Zeichen der Herrschsucht der Fürsten. Sie können nicht verstehen, dass darin die Interessen von Fürst und Volk zusammentreffen und dass die zunehmende Macht des Fürsten der Festigung des Staates diente.

Mit dem Sturz der Republik ist diese Betrachtung der Geschichte aus republikanischer Perspektive nicht verschwunden. Wir beziehen unser Geschichtswissen meist noch von Autoren des 18. Jahrhunderts und übernehmen meistens auch gleichzeitig deren Ansichten. Der vortreffliche Wagenaar, den wir immer noch vorzugsweise heranziehen, überzeugt uns, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, mit seinen republikanischen Prinzipien. Und von den gegenwärtigen Geschichtsschreibern gehören die besten, deren Autorität am meisten zählt, zu der streng protestantischen Schule, die, wie monarchistisch ihre Grundsätze auch sind, doch nie vergessen kann, dass der Triumph des Aufstands, der Triumph der in ihren Augen einzig wahren Religion gewesen ist.

Von all unseren Geschichtsschreibern ist Bilderdijk vielleicht der einzige, der die Verdienste unserer alten Landesherren richtig eingeschätzt hat und der empfindet, wie viel uns die Erhaltung der religiösen und bürgerlichen Freiheit gekostet hat. Er war nicht durch eine ausführliche und gründliche Untersuchung zu dieser Einsicht gekommen. Er war mehr Dichter als Wissenschaftler. Intuitiv erkannte er, teilweise jedenfalls, das, was Wagenaar und anderen voreingenommenen Republikanern verborgen geblieben war. Er hatte aber nicht den Flei eines Wagenaar, seine Ansichten anhand der Fakten zu überprüfen und seine Einfälle ausreifen zu lassen. Im Ton eines Orakels, das keine höhere Autorität anerkennt als die eigene, und in der Form von Paradoxa hat er ab und zu denn er vertritt auch in dieser Hinsicht nicht immer denselben Standpunkt die Überlegenheit der alten Monarchie über die spätere Republik gerühmt. Seine Übertreibung und seine Heftigkeit haben dafür gesorgt, dass seine unbewiesenen Thesen sich wenig oder gar nicht durchgesetzt haben. Meiner Meinung nach ist der groe Verdienst dieser Thesen, dass sie in die richtige Richtung gehen, in die sich unsere Untersuchung bewegen muss.

Bilderdijks Beispiel folgend wollen wir jetzt unsere Aufmerksamkeit bewusst auf die Schattenseite der republikanischen Freiheit richten, auf die nachteiligen Folgen des leider unvermeidlichen Aufstandes gegen den Landesherrn. Auf die gröten Vorteile moralischer und materieller Art, die wir der Trennung von Spanien verdanken, die Gewissensfreiheit, die Gedankenfreiheit, die Freiheit von Reden und Handeln, den Unternehmergeist, den Arbeitseifer und das Gewinnstreben, den Wohlstand und das Ansehen der Vereinigten Provinzen auf das alles werden wir von Jugend an hingewiesen. Nicht zum Überfluss wollen wir daran erinnern, dass dieser Gewinn auch mit einigen Verlusten verbunden war.

Wer von uns hat nicht schon die engen Grenzen, in denen die Republik eingeschlossen war, und die damals so geringe Einwohnerzahl unter dieser Regierung beklagt, als er von den groen Taten hörte, die die Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert vollbracht hatten. Die glänzende Rolle, die die Vereinigten Niederlande in Europa spielten, überstieg ihre Kräfte. Nur durch den Rückstand der um vieles mächtigeren Nachbarn war es möglich, dass die Niederlande diese Vorrangsstellung noch so lange behielten. Auf Dauer konnten sie diese nicht halten. Ein Zurückfallen in eine Lage, die ihren Kräften entsprach, war notwendig. Welche Zukunft hingegen hätte unser Volk gehabt, wenn es um einige Millionen gröer gewesen wäre! Es hätte dann die einstige Vorrangstellung behalten. Es wäre, wie andere Reiche, in der Lage gewesen sein Grundgebiet zu vergröern und hätte im allgemeinen Fortschritt mit den übrigen Völkern mithalten können. Stellen Sie sich vor, was aus unseren Kolonien in Amerika hätte werden können, um nur ein Beispiel zu geben. Nebeneinander lagen Neu-Niederlande und Neu-England. Warum hat England die niederländischen Kolonien übernommen und aufgelöst? Es liegt nicht an der gröeren Energie des englischen Volkscharakters. Im 17. Jahrhundert die Engländer selbst bezeugen dies stand unser Volk an Betriebsamkeit und Unternehmergeist keiner anderen Nation nach. Es war nur die gröere Zahl der Kolonisten, die England Überlegenheit bescherte. England, das stärker bevölkert war, konnte viele Kolonisten aussenden. Dem konnte unser kleines Land keine vergleichbare Zahl gegenüberstellen. Doch die Verhältnisse wären umgekehrt gewesen, wenn die Niederlande ein gröeres Land gewesen wären. Hätten die Niederlande mehr Kolonisten nach Amerika schicken können als England, dann wäre Neu-England in Neu-Niederlande aufgegangen. Die groe Nation, die jetzt vom westlichen bis zum östlichen Ozean Nord-Amerika bildet, wäre eine niederländische. Unsere Sprache, unsere Literatur wären nicht auf das kleine Mutterland beschränkt; sie wären ein gemeinsames Gut von stetig wachsenden Millionen; sie wären, wie jetzt die englische Sprache und Literatur, in der ganzen Welt verbreitet.

Wie viel sicherer wäre dann die Existenz unseres Volkes! Unsere Unabhängigkeit wäre garantiert. Unser heutiges Königreich, wie auch unsere einstige Republik, existiert nur auf Grund der Eifersucht unserer mächtigen Nachbarn, die es einander nicht vergönnten, sich die Niederlande einzuverleiben. Die Eifersucht wird wohl bleiben, aber die Übermacht eines dieser Eifersüchtigen genügt, um uns die Existenzgarantie für unser Volk zu entziehen. Damit haben wir schon traurige Erfahrungen gemacht. Und hat auch unsere Schwäche die Existenz unseres Volkes nicht aufs Spiel gesetzt, hindert sie uns doch an den groen Bewegungen teilzunehmen, die in Europa stattfinden. Dem, was auf der Weltbühne geschieht, müssen wir tatenlos zusehen. Unsere Sympathien und Antipathien führen zu keiner Handlung: kein Wunder, dass sie mehr und mehr in Apathie ausarten. Anstatt Einfluss auf andere Völker auszuüben, müssen wir uns vor dem schwerwiegenden Einfluss der Nachbarn hüten. Das Gefühl der eigenen Stärke, die Selbstzufriedenheit fehlt uns. Unser Volkscharakter wäre mutiger und energischer, würden wir uns als Nation wehrhafter und mächtiger fühlen.

Wir wären eine mächtige Nation geworden, hätte der notwendige Aufstand gegen den fremden Fürsten das Tempo unserer Entwicklung nicht plötzlich gestoppt. Wie mächtig waren wir schon unter den burgundischen und den österreichischen Landesherren geworden. Die Vereinigung der niederländischen Gebiete hatte langsam und zögernd angefangen, wurde aber immer schneller und sicherer durchgesetzt und hatte aus vielen kleinen Staaten einen einzigen Staat gebildet, der den übrigen Reichen Westeuropas nicht nachstand. Die venezianischen Botschafter, die mit sicherem Blick die Macht der Staaten einzuschätzen wissen, machen ein groes Trara um die Hilfsmittel und Streitkräfte der Niederlande unter Karl V. Noch hatte der Staat seine natürlichen Grenzen nicht erreicht. Auch wenn Karl V. die siebzehn Provinzen zu einem selbständigen und unzertrennlichen Ganzen verbunden hatte, war deshalb die Aussicht auf weitere Neuerwerbung von Gebieten nicht vorbei. Ohne auf die übertriebenen Pläne Karls des Kühnen zurückgreifen zu müssen, konnten seine Nachfolger auf ansehnliche Erweiterung ihres Gebietes aus sein. Die Erbschaft der Herzoge von Jülich, Kleve und Berg, um die am Anfang des 17. Jahrhunderts so heftig gestritten wurde, wäre vielleicht an die Niederlande gefallen, denen sie auch am meisten zustand, hätte ein geschickter Fürst rechtzeitig Manamen getroffen [2] . Ebenso hätten Ostfriesland und mehrere westfälische Bistümer und Anwesen, die wegen Stammverwandtschaft und gleicher Interessen zu den Niederlanden gehörten, mit diesen zum richtigen Zeitpunkt vereinigt werden können. Die gleichen Mittel, mit denen die 17 Provinzen unter einer Krone vereinigt worden waren, könnten weiterhin zur Aneignung neuer Gebiete angewendet werden. Behalten wir dabei im Auge, dass unser Landesherr zum österreichischen Herrscherhause gehörte, das sich die deutsche Kaiserkrone so gut wie angeeignet hatte, und dass eine Abtrennung der Niederlande vom Rest der spanischen Monarchie mehrmals ernsthaft in Betracht gezogen wurde, dann können wir nicht anders als das Schicksal zu beklagen, das die Niederlande gerade in der Zeit ihres Entstehens behindert und auseinander gerissen hat.

Die Republik, die aus dem Kampf hervorgegangen ist, umfasste nur sieben der siebzehn Provinzen. Brabant und Flandern, der Kern des altniederländischen Staates, blieben ausgeschlossen. Von Erweiterung des Grundgebietes und Aneignung angrenzender und verwandter Gebiete konnte keine Rede mehr sein. Der Augenblick, in dem man einen groen niederländischen Staat hätte bilden können, war für immer vorbei.

Und wäre es nur die Ausdehnung und die Macht des Staates gewesen, die man verloren hat! Auch die Einheit des Staates wurde zerschlagen. Die allgemeine Landesregierung, die ständig stärker wurde und aus den verschiedenen Gebieten einen Staatskörper zu bilden versucht hatte, musste das wegen des Selbstbewusstseins der einzelnen Provinzen aufgeben.

In unserer mittelalterlichen Geschichte gab es kein ansprechenderes Schauspiel als das langsame Anwachsen der Macht der Landesherren. Je mächtiger der Fürst wird, umso friedlicher und wohlhabender wird das Land. Wilhelm III., der über Holland und Hennegau regierte, heit beim Volk der Gute, weil seine Art zu regieren für seine Untertanen glücklich und gut war. Und seine Regentschaft war gut, weil er genügend Macht besa, weil das reguläre Regierungssystem, das es in Hennegau bereits gab, jetzt auch in Holland eingeführt wurde. Doch schon sein Sohn Wilhelm IV. verschwendete Gebiete und Einkünfte, auf denen die Macht des Grafen ruhte. Der Cousin, der ihm nachfolgte, Wilhelm V., war nicht in der Lage sich durchzusetzen; seine Machtlosigkeit lieferte das Volk den Gräueltaten der Regierungslosigkeit und dem Bürgerkrieg aus. Da nun kein mächtiger Fürst mehr die aufrührerischen Adeligen und Bürger im Zaum hielt, brach ein Bürgerkrieg aus, der als “Hoekse en Kabeljauwsche twisten” bekannt wurde. Aus dieser bangen Zeit stammt ein merkwürdiges Buch von einem gewissen Philips van Leiden. Es ist die älteste Schrift staatsrechtlicher Art, die unsere Literatur kennt. Die Schlussfolgerung, die zugleich auch der Grundsatz, von dem das Buch ausgeht, ist, lautet: es geht dem Volke nur gut, wenn es einen mächtigen Landesherrn hat. Deshalb darf der Landesherr nichts zulassen, was seine Macht schwächen könnte; alle Güterschenkungen und jede Zuerkennung von Privilegien, die ihn zu sehr verarmen lassen und schwächen würden, sind aus diesem Grund nichtig und widerrufbar.  Das oberste Gesetz, das Heil des Staates, fordert, dass der Fürst sein Vermögen unvermindert für seinen Nachfolger bewahrt. Zu einem solchen Staatsrechtssystem führte das Elend der damaligen Regierungslosigkeit. Die Gesellschaft hatte in diesen Tagen kein anderes Bedürfnis als eine starke Regierung, die die Sicherheit der Personen und Eigentümer garantieren konnte.

Solch eine starke Regierung war die der burgundischen Herzöge, welche sich ein Jahrhundert später von Flandern aus auf die Niederlande ausdehnte. Wie heilsam war diese Regierung für die von Regierungslosigkeit heimgesuchten Gebiete? Die guten Zeiten Wilhelms von Hennegau kehrten unter Philipp von Burgund wieder zurück. Auch dieser wurde vom Volk ‘der Gute’ genannt, worüber sich die republikanischen Geschichtsschreiber sehr wundern [3] . Sie fragen sich vergeblich, worin die Gutheit dieses herrschsüchtigen Fürsten bestanden habe. Als ob es keine gute Tat sei, seine eigenen Interessen mit den allgemeinen Interessen des Staates zu verbinden! Als ob es kein Zeichen eines guten Fürsten sei, seinen Untertanen Frieden, Sicherheit und Recht zu garantieren! Ein Jahrhundert nach seinem Tod hat das Volk diesen Verdienst des Fürsten noch nicht vergessen. Mitten im Freiheitskrieg gegen Spanien rühmen unsere begabtesten Staatsmänner die Regierung Philipps von Burgund, weil sie die Bürgerunruhen und Kriege in den Niederlanden beendet hat [4] .

Keine Regierungsgewalt ist wichtiger für eine Nation als die Judikative. Wenn erst die Sicherheit hergestellt ist, wünscht man sich nichts sehnlicher als eine gerechte Rechtssprechung. In dieser Hinsicht haben sich unsere alten Landesherren unsterbliche Verdienste erworben. Durch ihr Bemühen entstehen inmitten der örtlichen Schöffengerichte und Gerichtshöfe die regionalen Gerichtshöfe und Räte, auf die sich der Geschädigte berufen kann. Ihnen übergeordnet war schlielich, wie der Staat den einzelnen Gebieten, der Groe Rat von Mecheln, dessen Zuständigkeit, auf Kosten der veralteten und deshalb schädlichen Privilegien und Abkommen, stetig ausgedehnt wird. Noch einige Jahre, in denen Ruhe, Frieden und eine starke und respektierte Regierung herrschten, und die Niederlande hätten eine einheitliche Rechtssprechung bekommen, wie kein anderes Reich sie zu dieser Zeit hatte.

So war es auch mit der Gesetzgebung. Unsere Landesherren, insbesondere Kaiser Karl und König Philipp, waren darauf aus, in allen Provinzen allgemeine Gesetze einzuführen, die eng an die bestehenden Rechte und Rechtsgewohnheiten anschlossen und geeignet waren jene zu ersetzen. Unter Albas Verwaltung wurde die bekannte Crimineele Ordonnantie [eine Art Strafgesetzbuch, Anm. d. Ü.] vollendet und erlassen. Sie war ein so hervorragendes Gefüge von Strafgesetzen, dass sie zwei Jahrhunderte später noch immer die Bewunderung eines Rechtsgelehrten wie Voorda weckte. Zu gleicher Zeit hatten die vorbereitenden Studien für ein neues bürgerliches Gesetz angefangen, das alle Verordnungen und Erlässe ersetzen sollte. Aber weiter als diese Vorbereitungen ist das Werk nicht gediehen. Der Aufstand wirkte sich bald störend aus. Und die Republik, die nach dem Streit die Monarchie ersetzte, hatte nicht vor und war auch nicht mächtig genug, das abgebrochene Werk wieder aufzunehmen. Im Gegenteil, die schon eingeführte Crimineele Ordonnantie geriet teilweise wieder auer Gebrauch. Die alten Sitten setzten sich wieder durch. Der Rat von Mechelen wurde für die nördlichen Niederlande durch keinen anderen allgemeinen Gerichtshof ersetzt. Von da an galt, was Rechtsangelegenheiten und Gesetzgebung betraf, keine höhere Souveränität als die der einzelnen Provinzen. Zum Zeitpunkt des Unterganges der Republik war das Werk der Gesetzgebung nicht weiter fortgeschritten als an ihrem Anfang. Was die spanische Herrschaft geplant hatte, haben wir erst von der französischen Herrschaft bekommen.

Mit der allgemeinen Landesregierung verhielt es sich nicht anders. Die Grundlagen einer ordentlichen Verwaltung hatte Karl V. mit seinen Gesetzen des Jahres 1531 geschaffen. Ein Landvogt, der den Fürst vertritt, ist dem Statthalter vorgesetzt. Er hat neben sich den Ständerat, den er zu Rate ziehen kann und der ihm Auskünfte gibt. Der Ständerat regiert mittels einer Finanzkammer und eines Geheimen Rates für Gesetzgebung. Seine Befugnis ist in mancherlei Hinsicht durch Privilegien eingeschränkt, die auf frühere Zeiten und andere Verhältnisse zurückgehen und sich hemmend und nachteilig auswirken, aber bei jeder Gelegenheit auf Kosten dieser Privilegien ausgedehnt wird. Die Finanzen der besonderen Provinzen werden nach und nach von der Landesregierung verwaltet. Die Armee ist dem Befehl eines Kapitän-Generals unterstellt, der unmittelbar vom Landesherren ernannt wird. Solch eine Regierung kann leben und sich entwickeln. Sie ist stark genug, um sich Respekt zu verschaffen und, wenn es die Umstände erlauben, ihre Macht sogar auszudehnen. Aus dem gleichen Keim ist die Regierung von Frankreich hervorgegangen, die allmählich alle Hindernisse überwunden und alle Gewalten ihrer Vorherrschaft unterworfen hat.

Aber gerade im Geschick der Einrichtungen, die Macht der Regierung dauerhaft zu vergröern, lag die Ursache für das Misstrauen, mit dem vor allem die Angesehenen sie beobachteten. Die Regierung war eine ausländische, eine fremde; ihre Politik richtete sich durchwegs nach anderen Interessen als den niederländischen; sie war herrschsüchtig und was sie in den Niederlanden vorhatte, zeigte sich in dem, was sie anderswo, in Italien und Spanien erreicht hatte. Ohne das Gegengewicht einer nationalen Vertretung gefährdete sie auf Dauer die Freiheit. Dessen waren sich alle bewusst, Groe wie Kleine; aber nur die Groen, die einen Sitz in Ständerat innehatten und so zum Schein oder auch in Wirklichkeit an der Regierung teilnahmen, waren in der Lage die Gefahr abzuwenden und bestimmte Pläne für Reformen zu entwerfen. Wir brauchen nach ihren Wünschen nicht zu fragen; es steht in den Staatsakten, die wir kennen. Mit Sicherheit können wir daraus schlieen, dass sie für die Niederlande eine konstitutionelle Monarchie vorgesehen hatten. Noch vor Beginn des Aufstandes im Jahr 1564 baten der Prinz von Oranien und seine Freunde im Ständerat den König um eine Änderung in der Staatsverwaltung. Diese spiegelte zwar nur teilweise ihre Absichten wider, aber zeigte doch schon, welche Regierungsform sie anstrebten. Später haben sie ihr Ideal in den Verfassungen, die sie Matthias von Österreich und Franz von Anjou aufnötigten, zur Gänze verwirklicht. Diese Pläne verdienen für einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit, obwohl sie zu nichts geführt haben.

Wie konnte man die autokratische Regierung von Philipp am natürlichsten dem Einfluss des Volkswillens unterstellen?

Es gab dafür zwei verschiedene Möglichkeiten. Man konnte die Regierung dazu verpflichten, die Stände des Landes regelmäig, zum Beispiel ein Mal jährlich, einzuberufen. Von dem ständigen Kontakt, in dem die Regierung dann mit den Repräsentanten des Volkes stehen würde, erwartete man, dass er den Einfluss des Volkes auf die Arbeit der Regierung mehr und mehr festigen würde. Seit langem waren sich die Gegner der Alleinherrschaft dessen bewusst. Schon lange vor der Einigung der 17 Gebiete, hatten sie sich in den einzelnen Provinzen darum bemüht, die Regierung dazu zu verpflichten. Am liebsten hätten sie für die Staaten das Recht erworben, so oft zusammen zu kommen, wie sie selbst für notwendig hielten. Mehrfach hatte man einem schwachen Fürsten oder einer schwachen Fürstin dieses Privilegium abgerungen, aber man hatte es immer wieder verloren, sobald die Regierung ihre Kräfte wiedererlangt hatte. So gut verstanden beide, Regierung und Nation, die Bedeutung und das Ausma dieses Privilegs. Nach der Vereinigung der Gebiete hatte eine Versammlung der allgemeinen Stände noch viel mehr Bedeutung als vorher die Stände der einzelnen Provinzen. Deshalb wurde sie auch umso seltener einberufen. Unter Philipp war es ein fester Grundsatz geworden, keine Generalstände einzuberufen, es sei denn, man war sicher, dass sie keinen Widerstand leisten würden. Die Groen konnten sich 1564 also sicher sein, dass ihr Antrag auf Einberufung der Generalstände nicht einmal in Erwägung gezogen werden würde.

Aber es gab noch eine andere Möglichkeit, um ein gewisses Mitregieren der Nation zu ermöglichen. Wenn der Ständerat dazu ermächtigt würde, an Stelle seiner rein beratenden Funktion auch Beschlüsse zu fassen, an die die Regierung gebunden wäre, bekäme die Regierungsform sogleich einen ganz anderen Charakter. Denn die Groen, die den Rat bildeten, waren durch ihre Position vom Fürsten unabhängig, durch ihr Selbstwertgefühl nicht geneigt, wie Sklaven Folge zu leisten, und durch ihre Abstammung die natürlichen Anführer des Volkes, auf dessen Unterstützung gegen einen Fürst, dem man misstraute, sie rechnen konnten. Daher der Vorschlag des Prinzen von Oranien und seiner Freunde, die beiden Räte für Finanzen und Gesetzgebung aufzulösen und die Aufgaben dieser beiden an den Ständerat zu übertragen, der dann durch Stimmenmehrheit Beschlüsse fassen sollte, nach denen sich der Landvogt richten müsse. Hätte man diesen Vorschlag angenommen, wäre die Regierung zur Gänze unter den Einfluss der Groen und indirekt unter den der Nation gekommen. Granvelle übertrieb, aber hatte im Wesentlichen doch Recht mit seiner Behauptung, dass der Fürst der Niederlande auf diese Weise zu einem zweiten Dogen von Venedig würde.

Der König stimmte mit Granvelle überein und lehnte die Umorganisierung ab. Sogleich brach der Aufstand aus. Abwechselnd schloss der Fürst das Volk und das Volk den Fürsten von der Regierung aus. Ein Ausgleich zwischen beiden kam nicht zustande; jeder Versuch dazu scheiterte. Daher versuchte man es mit Fremdherrschaften; zuerst mit Matthias, den man als Landvogt des Königs anerkannte, obwohl er nicht vom König, sondern von den Anführern des Aufstandes sein Amt empfangen hatte.

Die Bedingungen, die an ihn gestellt und von ihm angenommen wurden, formten eine Verfassung, durch die die Herrschaft nicht weniger eingeschränkt wurde als in unserer heutigen Monarchie. Der Landvogt erkannte das Recht der Stände an, so oft zu tagen, wie sie wollten, und verpflichtete sich gemä den Beschlüssen zu regieren, die vom Ständerat mit Stimmenmehrheit beschlossen worden waren. Die beiden Zügel, mit deren Hilfe die Groen den Fürst unter den Einfluss der Nation zu bringen versucht hatten, wurden daher dem Landvogt angelegt. Aus guten Gründen hielt man den Prinzen von Oranien für den Urheber dieser Verfassung.

Aber die neue Regierung wurde den Anforderungen nicht gerecht. Matthias war den zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen seine Partei zu kämpfen hatte, nicht gewachsen. Auch wenn er ein anderer Mann gewesen wäre, hätten seine geringen Hilfsmittel nicht ausgereicht. Es stellte sich heraus, dass der Kampf gegen die spanische Übermacht ohne Hilfe von auen nicht durchgehalten werden konnte. Wieder auf Anregung des Prinzen von Oranien wandten sich die Stände schlielich an Anjou, den Bruder des französischen Königs. Sie nahmen ihn nicht als Landvogt, sondern als Landesherrn an, auf Basis einer Konstitution, die im Vergleich zu der von Matthias nur in einem wichtigen Punkt abwich: Von dem französischen Prinzen konnte man nicht verlangen, dass er nur das ausführen sollte, was die Mehrheit des Ständerates ihm vorschrieb. Er verpflichtete sich zwar, nicht ohne den Ständerat zu regieren, versprach aber nicht ausdrücklich, sich an die Beschlüsse des Rates zu halten. Andererseits hielten die Stände an ihrem Recht fest, zu tagen, sooft sie es für gut hielten; und ohne ihre Zustimmung durften keine hohen Staatsämter vergeben und keine Veränderungen an den Rechten und Gebräuchen der Untertanen vorgenommen werden. Auch diese Verfassung wurde nicht grundlos dem Prinzen von Oranien zugeschrieben.

Sie verdiente den Vorzug vor der früheren. Zu Recht entlie sie den Prinzen aus dem Untergeordnet-Sein unter den Ständerat. Es war nicht mehr als eine nutzlose Erniedrigung, die sie ihm ersparte. Das Recht der Stände, ohne Einberufung zu tagen, reichte schlielich aus, um den Einfluss des Volkes auf die Regierung zu sichern. Alle anderen Garantien einer konstitutionellen Regierung waren darin enthalten und würden sich mit der Zeit von selbst daraus entwickeln. Man durfte dem Fürsten die Hände nicht binden, ihn nicht daran hindern, Gutes zu tun, aus Angst, er könnte vielleicht auch Schlechtes tun. Man durfte nicht anfangen, Argwohn und Misstrauen zu zeigen. Aus diesem Grund verdienen auch zwei Punkte der neuen Verfassung heftige Kritik: Erstens, dass bei der Nachfolge kein reines Erbrecht gelten sollte, sondern dass von den Ständen ein Nachfolger unter den Kindern des Landesherrn gewählt werden sollte; zweitens, dass der Fürst bei einem Versto gegen die Verfassung automatisch die Herrschaft verlieren würde. Durch diese Bedingungen wurde die fürstliche Autorität unnötigerweise verletzt. Hätte sich dies in den Niederlanden etablieren können, wären sie von selbst in Vergessenheit geraten.

Aber die Monarchie konnte sich nicht etablieren. All die fremden Herren, die die aufständischen Niederlande, einen nach dem anderen, als Regenten beriefen, enttäuschten ihre Erwartungen. Die wenigen Gebiete, die dem König dauerhaft Widerstand leisteten, mussten sich schlielich ohne Monarch organisieren und eine Republik bilden. Die Stände, die ursprünglich als Gegengewicht zur Regierung gedient hatten, wurden nun Regierung und Repräsentanten des Volkes zugleich. Das Gleichgewicht der Staatsgewalten ging verloren. Die Stände wurden zu Königen, zu den absoluten Herren des Landes.

Kein Wunder, dass sie als solche das Regierungssystem in die Praxis umsetzten, wonach sie so lange gestrebt hatten. Die allgemeine Landesregierung musste den Privilegien und Freiheiten des Volkes weichen. An Stelle der Einheit und Oberhoheit des Staates, wurde die Selbständigkeit von Gebieten und Städten angestrebt, wofür sie alle zentralistischen Einrichtungen, die die früheren Landsherren eingeführt hatten, verfallen lieen. Unter ihrer Führung entwickelte sich der Staat in eine neue, zur früheren konträre Richtung.

Nach dem Gefühl der einflussreichsten Staatsmänner hatte der Staat eigentlich aufgehört zu existieren. Mit der Loslösung vom Fürsten war das einzige Band, das die Provinzen zusammengehalten hatte, zerrissen. Jede einzelne hatte in Folge dessen ihre alte Unabhängigkeit wiedererlangt. Die Union von Utrecht hatte sie zwar wiedervereint, allerdings nicht zu einem Staat, sondern zu Bundesgenossen gegen den gemeinsamen Feind. Von einer Republik der Vereinigten Niederlande konnte daher nicht die Rede sein; es gab vielmehr sieben mit einander vereinigte Republiken [5] . Dieser Theorie wurde die Regierungsform annähernd gerecht. Nach der Abreise Leicesters wurde kein allgemeiner Gouverneur mehr gewählt; die Statthalter der Provinzen hatten unter den Ständen die gröte Macht. Erst 150 Jahre später wählten alle Provinzen denselben Statthalter. Der Ständerat, der offiziell mit der ausführenden Gewalt betraut war, hatte tatsächlich wenig bis gar nichts zu sagen. Es gab kein gemeinsames Finanzwesen; die Provinzen bezahlten ihre Anteile, und hoben die dazu nötigen Gelder aus eigener Hand ein. Das Heer wurde zum gröten Teil nicht vom Ständerat, sondern von den einzelnen Provinzen bezahlt und geriet unwillkürlich unter den Befehl seiner Geldgeber. In den Provinzen strebten die Viertel und die Städte gleichermaen nach Unabhängigkeit und mit zunehmendem Alter der Republik driftete die Macht mehr und mehr auseinander. Wie zuvor die zentrale Regierung alle Kräfte des Staatskörpers an sich gerissen hatte, so entzogen ihr letzten Endes die Glieder selbst die Kraft, die sie benötigte, um den Körper vor dem Zerfall zu schützen. Als der Schock der Revolution von 1795 den instabilen Bau zum Einsturz brachte, hatte dieser schon lang wegen Baufälligkeit in sich zusammenzustürzen gedroht.

Sollen wir es den Gründern unserer Republik übel nehmen, dass sie den Staat in seiner Entstehung gehemmt und zwei Jahrhunderte in seiner Entwicklung aufgehalten haben? Ich sehe keinen Grund dafür. Sie haben getan, was ihnen am wichtigsten schien. Die Monarchie, die das Bestehende so zweckmäig eingerichtet hatte, war eine Bedrohung für die Zukunft gewesen, da sie die Freiheit untergraben hatte, die die erste Vorraussetzung für den Fortschritt ist. Kein Wunder, dass ihre gegen die Freiheit gerichteten Einrichtungen den Verfechtern der Freiheit verdächtig waren; und dass man eine Garantie für die Freiheit in der Machtlosigkeit der allgemeinen Regierung suchte.

Es stellt sich die Frage, ob die Freiheit, in der die Republik alle Monarchien ihrer Zeit übertraf, nicht wirklich zum Groteil der Machtlosigkeit der Regierung zu verdanken war. Ich würde mich nicht mit Sicherheit zu behaupten trauen, ob die Regierung der Stände die Freiheit schonender behandelt hätte als ein Monarch, wenn sie genauso mächtig gewesen wäre.

Die wichtigste und vielleicht die einzige Garantie für Freiheit in einem straff organisierten Staat liegt in der Denkweise und den Gebräuchen des Volkes. Eine mächtige Regierung ist eine Gefahr für die Freiheit jedes Volkes, das nicht vor Liebe zu seiner Freiheit brennt und zugleich die Freiheit der anderen ehrt. Verfügten unsere Vorväter in hinreichendem Ausma über einen solchen Freiheitssinn? Fragen wir die Geschichte.

Von Fremden wie von Einheimischen wird die Religionsfreiheit, die während der Republik allen gegönnt war, um die Wette gerühmt. Und wir geben es gerne zu: die Religion war hier tatsächlich in höherem Mae frei als anderswo. Allerdings war es keine gesetzlich verankerte Freiheit, sondern mehr ein Geduldet Werden. Von Rechts wegen gab es wohl die Glaubensfreiheit, aber keineswegs die Freiheit zum öffentlichen Bekenntnis und der Ausübung des Glaubens. Dass die Obrigkeit nicht verpflichtet ist, den wahren Glauben zu beschützen und jede Irrlehre auszurotten, war ein Standpunkt, den niemand zu vertreten wagte, und der von der groen Mehrheit als ebenso gefährlich wie widersinnig abgetan wurde. Eine Trennung von Kirche und Staat hielt man nicht für möglich, geschweige denn für vernünftig. Keine andere Kirche als die Staatskirche wurde anerkannt, alle anderen Kirchengemeinschaften standen im Widerspruch zum Gesetz. Die Erlässe gegen den katholischen Gottesdienst wurden ständig erneuert. Und weshalb? Weil die öffentliche Meinung danach verlangte. Die Mehrheit der Reformierten, allen voran die Pastoren, wurde in einem fort durch den scheinbaren Aufstand der Katholiken aus ihrer Lethargie aufgeschreckt und rief dann nach stärkerer Unterdrückung der päpstlichen Dreistigkeit. Die Regierung konnte es sich nicht leisten, ihrem Lamentieren kein Gehör zu schenken. Die Erlässe wurden erneut angekündigt aber ebenso wenig ausgeführt wie zuvor. Denn die Stände konnten nur ankündigen; die Ausführung oblag den örtlichen Stadtverwaltungen. Die allgemeine Landesregierung konnte die städtische Obrigkeit zu nichts zwingen, was diese nicht gut hie. Die Stadtverwaltung konnte daher ein Auge zudrücken und dulden, was die Stände auf ihren Anschlägen strengstens verboten. Eine allgemeine Verfolgung konnte daher nicht zu Wege gebracht werden, auer wenn die Regierungen aller Städte dies wünschten; und das war natürlich nur selten der Fall. Die Handelsstädte, und Amsterdam im Besonderen, hüteten sich aber, die fleiigen Dissenters aus ihrer Mitte in jene Städte zu verjagen, die ihnen bei der Verfolgung nicht behilflich sein wollten. Das Auseinanderdriften der Macht rettete so die gefährdete Freiheit. Die einzige wirkliche Verfolgung, die unter der Republik statt gefunden hat, ist die der Remonstranten in den ersten Jahren nach dem coup d état von Moritz. Denn in diesen Jahren war die allgemeine Regierung stärker denn je. Die Volksmenge strotzte vor Intoleranz und Parteihass; und Furcht vor ungesetzlicher Absetzung hielt die gemäigteren Regenten zurück, sich der allgemeinen Leidenschaftlichkeit zu widersetzen. Aber allmählich legte sich die Aufregung. Die Regierung entzog sich dem Verfolgungswahn des Bürgertums. Amsterdam war die erste Stadt, wo der Glaubenseifer die Oberhand gewann und die Erlässe umgangen wurden. Nun war ihre Kraft für immer gebrochen. Jede Handelsstadt, die ihre irrgläubigen Bürger nicht an Amsterdam verlieren wollte, musste dem Beispiel dieser gefährlichen Mitstreiterin folgen und zulassen, was laut den Erlässen verboten war. Überall lebte die Freiheit wieder auf im Widerspruch zum Gesetz und der öffentlichen Autorität.

Nicht anders war es um das Recht der Wissenschaft bestellt.

An unseren Universitäten herrschte Lehr- und Forschungsfreiheit, aber auch nur ihm Rahmen des Geduldeten. Stets traten die Stände als Vermittler auf, wenn die Kirche an der Lehre Ansto nahm; mit Vorliebe erstickten sie den Streit und die Forschung zugleich, indem sie Stillschweigen über das Thema befahlen, das die Gedanken und die Gemüter beschäftigte. Wir wollen nicht von dem Versuch sprechen, den Gegensatz zwischen Remonstranten und Gegenremonstranten zu ersticken, und von dem Erlass, der den Predigern auferlegte, auf der Kanzel über die Themen zu schweigen, die es ihrem Ermessen nach am meisten erörtert zu werden verdienten. Ebenso wenig von der darauf folgenden Absetzung der remonstrantischen Lehrer und Universitätsprofessoren. Es waren Tage von auergewöhnlicher Aufregung, in der diese Manahmen getroffen wurden; es war heftige Parteilichkeit, die dazu antrieb. Aber auch in Zeiten der Ruhe und des Friedens verschonte die Regierung das Recht der Lehre und der Forschung ebenso wenig. Um 1656 waren an den Universitäten die Philosophie und die Theologie in Streit geraten. Die Philosophie begann sich auf das Gebiet der Theologie zu wagen. Die Theologie war der Meinung, die Philosophie müsse einen Respektabstand wahren und dürfe sich nur mit Themen beschäftigen, derer die Theologie sich nicht annahm. Die Philosophie fand diese Forderung anmaend und bedrängte die Theologie fortwährend in ihren eigenen Gebieten. Beide gaben zu, dass der Staat, die Regierung den Streit schlichten müsse. Und die Regierung war derselben Ansicht. Ein “ordre” [6] van H. E. G. M. (Hunne Edele Groot Mogendheden) [ein Dekret, Anm. d. Ü.], das von De Witt verfasst worden war, regelte bald das Verhältnis zwischen den beiden Wissenschaften. Die Philosophie behielt ihre Freiheit bei, solange sie sich an die oberste Regel hielt, dass das, was den Menschen von Gott dem Herrn in der Heiligen Schrift geoffenbart wurde, als das einzig Richtige für unfehlbar und unbezweifelbar gehalten werden muss. Zugleich wurde befohlen, dass man, auch um des Friedens und der Ruhe willen, an den philosophischen Themen, die aus der Philosophie von Descartes stammen und in unserer Zeit bei manchen Grund zum Ansto geben, nicht festhalte [7] . Und siehe da, die Vorstellungen der Stände bezüglich der Freiheit des Philosophierens wurden zur Anwendung gebracht, und zwar durch einen Freund der Philosophie und Bewunderer von Descartes. Der kartesische Universitätsprofessor Heydanus, der nach dem Fall von De Witt dem Hass der Theologen geopfert und seines Amtes enthoben worden war, schrieb nun an den Ratspensionär: “De arme Cartesianen mogen UEd. Achtb. Wel houden voor haeren grooten patroon en weldader, die se op sulcken wijs uyt de kaken van den nijt verlost hebt” [8] . [Die armen Kartes ianer mögen Euer Ehren mit Recht für ihren groen Patron und Wohltäter halten, der ihr sie auf diese Weise aus den Fängen des Neides befreit habt.] Die Philosophie hielt sich, da sie nun am Leben bleiben konnte, für gerettet, wenn sie nichts von sich hören lie. Tatsächlich hat sie, unter Wilhelm III., schlimmere Zeiten durchlebt. Aber trotz all dieser Unannehmlichkeiten hatte es die freie Wissenschaft hier besser als anderswo. Denn die Regierung hatte hier weniger Macht. Zwischen den Ständen und der Universität standen die Kuratoren, die sich durch die Einmischung des Staates in ihre Schule persönlich gekränkt fühlten und deshalb die Wirkung des Staatseinflusses bremsten [9] . Auerdem kam der Freiheit zu Gute, dass jede Provinz ihre eigene Akademie hatte. Die Lehre, die an der einen unterdrückt wurde, konnte auf eine andere ausweichen. Durch zu strenges Durchgreifen vertrieb man Lehrer und Schüler zugleich. Hätte es nur eine Schule für alle Provinzen unter der Aufsicht der Generalstände gegeben, so wäre die Unterrichtsfreiheit hier nicht gröer gewesen als anderswo. Schlielich hatte man weder in der Regierung noch in der Nation bessere Ansichten über die Lehr- und Forschungsfreiheit als anderswo.

War es um die Pressefreiheit anders bestellt? Sie hängt so eng mit der Freiheit der Lehre zusammen, dass wir aus dem Umgang mit der einen die Situation der anderen ableiten können. Sicher, die Presse genoss unter der Republik groe Freiheit. Kein Buch war so voll Irrlehren, kein Flugblatt so gefährlich, dass es keinen Herausgeber gefunden hätte. Aber nicht, weil die Regierung oder die öffentliche Meinung die Pressefreiheit für unantastbar oder auch nur für erwünscht hielten. Nein, hätten die Stände die Presse unter Kontrolle gehabt, an der Lust ihr die Zügel anzulegen, hätte es nicht gefehlt. Das beweisen die zahlreichen Rundschreiben gegen den Druck und die Verbreitung von Büchern und ganzer Sorten von Büchern. Aber die Diskrepanz zwischen Ankündigung und Ausführung war nicht so gering. Die Aufsicht über die Drucker und Herausgeber hing nicht von den Ständen, sondern von den Verwaltungen der verschiedenen Städte ab. Und nur selten war das Urteil aller Städte über einen Text einhellig. Was man in der einen Stadt schädlich fand, fand man in der anderen nicht so schlimm. Was in Rotterdam nicht gedruckt werden konnte, fand in Amsterdam selbstverständlich einen Herausgeber. Was in ganz Holland verboten war, wurde vielleicht in Friesland oder in Seeland geduldet. Wem es mit seiner Publikation ernst war, der konnte sicher sein, dass sie zu guter Letzt auch gedruckt werden würde. Aber ich will noch einmal auf De Witt zurückkommen und ihn als Zeugen zitieren. Ihr könnt sicher sein, dass seine Zeitgenossen nicht liberaler, nicht aufgeklärter waren als er. Hört, welchen Wert er auf die Organe der öffentlichen Meinung legte. “Ick en lese noyt eenige couranten of wtcomende boexkens” [Ich lese nie irgendwelche Zeitungen oder Buchneuerscheinungen], schrieb er an Van Beuningen [10] ; und De Groot, der wiederholt über die Zeitungslizenzen geklagt hatte, antwortete er, dass er “noch een wtterste effort doen sou om dienthalve een goede ende vigoureuse resolutie wt te wercken; alhoewel hetselve quaedt in een republycque van verscheyde provinciën van vele steden, in welcke druckerijen sijn, niet wel en ist te weeren” [11] [weder einen besondern Aufwand betreiben würde, um eine gute und effiziente Resolution auszuarbeiten; obwohl dieses Übel in einer Republik mit verschiedenen Provinzen und verschiedenen Städten, in denen es Druckereien gibt, nicht zu verhindern ist]. Wäre die Republik eins und unteilbar gewesen und hätte die Regierung über alle Druckereien im Land das Sagen gehabt, dann wäre die Presse hier nicht mehr verschont geblieben als anderswo.

In jedem Fall wäre die Strafe für Autor und Herausgeber nicht so schwer, nicht so schlimm gewesen wie anderswo, besonders in Frankreich. Geldstrafen und Verbannung sind die schwersten Strafen, die bei uns gegen Herausgeber und Autoren von Schmähschriften verhängt wurden. Keine lettres de cachet verdammen sie ohne Verurteilung zu ewigem Gefängnis. Die Menschlichkeit, durch die sich unser Volkscharakter auszeichnet, die Gerechtigkeit und Mäigung, die uns gleichermaen eigen sind, verhindern die Anwendung solcher, dem Vergehen nicht entsprechender Strafen. Darüber hinaus war der Abstand zwischen Regierenden und Regierten nicht so gro wie in den Monarchien. Es war etwas anderes, einen König von Frankreich, den Repräsentanten Gottes auf Erden, zu beleidigen, oder schlecht über den Bürgermeister oder den Pensionaris zu sprechen. Der Bürgermeister war zufrieden, wenn er sich an dem Lästerer schadlos halten und ihn aus der Stadt verbannen konnte. Ludwig XIV wäre nicht zufrieden, bevor der nicht Lästerer, der seine Hoheit beleidigt hatte, sein Leben lang in einem eisernen Käfig gefangen säe [12] .

Aus denselben Gründen war die persönliche Freiheit bei uns besser garantiert als irgendwo anders. Natürlich, gegen die Regenten war es nicht möglich, Recht zu bekommen. Keine unabhängige richterliche Macht beschützte die Bürger vor der Willkür der Herrschenden. Aber das Unrecht hielt sich in Grenzen. Am Leben oder der Freiheit der Bürger konnte sich die Regierung wegen ihrer Bürgernähe nicht ungestraft vergreifen. Verglichen mit anderen Ländern war dies tatsächlich das Vaterland der bürgerlichen Freiheit [13] . Hierhin flüchteten sich auch von überall die Unglücklichen, die in ihrem eigenen Land nicht sicher waren; und sie lebten unter dem Schutz unserer Gesetze durchwegs in Sicherheit. Aber, wir müssen es erneut zugeben: mehr als vom Gesetz und der Wohlgesonnenheit der Regierung wurden sie von der Vielzahl der Regenten und dem Zerfall der Macht beschützt. Die ausländischen Gesandten, die von ihrem Herrscher den Auftrag bekommen hatten, die Herausgabe eines Verbannten zu fordern, sehen ein, dass die Regierung der Republik beim besten Willen nicht in der Lage ist, ihrem Ersuchen Folge zu leisten. Sie müssen sich an die Verwaltungsbehörde der Stadt wenden, in der sich der Verbannte aufhält, und wenn die mit dem Armen Mitleid hat, ist nichts einfacher, als ihn entkommen zu lassen, bis er sich auerhalb ihres Einflussbereiches befindet. Dann müssen sie den Mann von Stadt zu Stadt verfolgen und verlieren bald seine Spur. Auf diese Weise ist so mancher Schuldige und Unschuldige seinen Verfolgern entkommen. Hatte er es unseren Regenten oder den Umständen zu verdanken? Ich, für meinen Teil, glaube nicht, dass die Stände, im Fall von unterdrückter Unschuld, den Zorn mächtiger Fürsten auf sich geladen hätten. Weder ihre Aussagen noch ihre Taten geben Anlass, das zu glauben. 1662 gelang es der Regierung Karl II ., einige hierher geflüchtete Königsmörder (mit denen unsere statthalterlose Regierung früher in freundschaftlicher Beziehung gestanden hatte) zu fassen und sie nach England zu überführen, wo sie hingerichtet wurden. Minister Clarendon bezeugte dem Ratspensionär von Holland seinen Dank für die erwiesene Mitarbeit. Und was antwortet De Witt? Er bemerkt, dass die Stände, nur um dem König zu gefallen, erlaubt haben ce que lon ne leur pouvoit demander quen vertu du traité, quand il sera achevé [14] . Ihrer Lust, Karl für sich zu gewinnen und einen vorteilhaften Pakt mit ihm zu schlieen, sei das Leben dieser englischen Fanatiker geopfert worden. Sie wünschten so sehnlich die Navigationsakte annulliert zu wissen.

Wie sollten wir es, nach dieser Betrachtung, beklagen können, dass die Regierung der Republik in einer Zeit, in der noch kein Respekt vor der Freiheit der Untertanen sie im Zaum gehalten hätte, nicht mächtiger gewesen ist? Dem Glaubenszwang und der Herrschsucht unserer letzten Landesherrn knapp entkommen, musste unser Volk bei allem Hass gegen jede Art der Unterdrückung, der in ihm brannte, erst Liebe für die und Respekt vor der Freiheit lernen. Zur Zeit der republikanischen Institutionen, die nicht geeignet waren ihre Macht auf das ganze Land auszudehnen, hielt die Freiheit automatisch Einzug. Das Volk gewöhnte sich daran, gewann sie um ihrer selbst willen lieb, und begann sie zu respektieren. Die schlechte Auswirkung der Machtlosigkeit des Staates war sicher oft zu spüren. Die Notwendigkeit einer strafferen Organisation wurde im Laufe der Jahre immer dringlicher. Inzwischen war die Erziehung des Volkes aber weit fortgeschritten. Es konnte eine starke Regierung vertragen, ohne dadurch in die Knie zu gehen. Die Freiheit war in ihre Sitten eingedrungen. So wie sie früher existiert hatte, weil die Regierung nicht im Stande war sie zu unterdrücken, so würde sie von nun an herrschen, weil alle sie respektierten.

In diesem glücklichen Zustand befinden wir uns momentan. Wir genieen die Freiheit mehr, als unsere Väter sie je genossen haben. Glaubensfreiheit und Freiheit der Religionsausübung, Rede- und Handlungsfreiheit, wann oder wo auf der Welt haben sie je so in Blüte gestanden wie heutzutage bei uns? Und das nicht wegen der Machtlosigkeit des Staates. Der Staat ist im Wesentlichen so eingerichtet, wie es die Landesherren aus burgundischem und österreichischem Haus geplant hatten. Der Staat ist eins und unteilbar; alle Privilegien sind gleichen Rechten gewichen; alles von alters her Tradierte wurde durch Zeitgemäes ersetzt. Die allgemeine Landesregierung hat Zugang zu allen Bereichen und macht ihre Vormachtstellung vor allen Personen und Körperschaften geltend. Das Gesetz und die Rechtssprechung sind vereinheitlicht. Allgemeine Steuern liefern im Überfluss, was zum Erhalt des gesamten Staates benötigt wird. Das Ideal von Karl V. scheint verwirklicht zu sein.

Aber auch das Ideal der niederländischen Groen, die die fürstliche Oberhoheit begrenzt sehen wollten, wurde verwirklicht, so weit es förderlich war. Neben der Regierung des Königs steht die Repräsentanz des Volkes. Sie verhindert, dass die Regierung gegen die Bedürfnisse und Wünsche des Volkes handelt. Sie zieht noch immer die Fäden an der Börse und hält damit die Zügel der Verwaltung in der Hand. Die Regierung, die den Platz des früheren Ständerates einnimmt, muss aus Männern zusammengesetzt werden, die das Vertrauen der Repräsentanten genieen. Wie weit das Recht der Stände auch reichen mag, die Gefahr, vor der die alten Landesherrn zurückschreckten, dass sie die Regierung übertreffen und lahm legen könnten, ist unbegründet. Schlielich sind sie nur Repräsentanten des Volkes und die Krone kann sich durch sie auf das Volk berufen. Sie sind nur mächtig, solange sie im Sinne des Volkes handeln. Entzieht ihnen das Volk seine Unterstützung, so müssen sie sofort nachgeben. Der Wille des Volkes ist also die treibende Kraft, die die kunstvoll zusammengebaute Staatsmaschine beseelt.

So schliet die neue Monarchie an die alte an. Die Republik ist eine für immer verflogene Zwischenzeit [15] . Von ihren eigentümlichen Staatsinstitutionen ist nichts übrig geblieben. Nur die Freiheit, die zu ihren Zeiten blühte, wurde bewahrt, aber auch diese musste sich ändern. Die Freiheit der Republik war, wie wir gesehen haben, ein Vorrecht, dass nicht allen in gleichem Mae vergönnt war; ein Zugeständnis der Regierung, das gegeben, aber auch wieder zurückgenommen werden konnte. Heutzutage ist die Freiheit keine Gunst, sondern ein Recht; ein Recht, auf das alle in gleichem Mae Anspruch haben. Die Regierung darf sich nicht in Glauben und Glaubensbekenntnis, und das Denken und Sprechen einmischen. Innerhalb ihres eigenen Arbeitsgebietes besitzt sie alle Macht, die sie benötigt. Aber dieses Gebiet ist begrenzt und die Grenzen werden ständig enger gezogen. Je nachdem, wie sich die Staatswissenschaft und die Volkswirtschaftslehre weiterentwickeln, wird die Willkür der Regierung zurückgedrängt. Und die Erfahrung, die zeigt, wie viel besser sich gesellschaftliche Angelegenheiten regeln, wenn die Regierung neutral bleibt, besiegelt die Lehren der Wissenschaft und spricht für die Freiheit, auch wegen ihrer Wirkung.

Solange die Freiheit noch für ein Vorrecht gehalten wurde, gönnte unser Volk sie keiner anderen Nation. Wir erschauderten bei dem Gedanken, dass die Regierung der südlichen Niederlande unserem Beispiel folgen und Religionsfreiheit gewähren würde; dann nämlich befürchteten wir, dass diese Gebiete an Bevölkerungsdichte, Handel und Gewerbe zunehmen könnten und den nördlichen Provinzen zu gefährlichen Konkurrenten würden. Wir freuten uns über die Hindernisse, die in Frankreich und England Handel und Gewerbe in den Weg gelegt wurden; denn umso gröer war der Vorteil, den wir uns von unserer Freiheit versprachen. Als Einzige frei zu sein, mitten unter beherrschten und schlecht verwalteten Reichen, schien uns das höchste Gut. Kein Wunder, dass uns alle anderen Völker Europas um unsere Freiheit beneideten und sie uns missgönnten; dass die benachbarten Fürsten dem einzigen Volk, das sich selbst regierte, mit Argwohn und Unwillen begegneten. Unsere Selbstzufriedenheit und unser Egoismus verdienten solche Vergeltung.

Heute wissen wir, dass die Freiheit und der Wohlstand anderer Völker mit unserer Freiheit und unserem Fortschritt nicht im Widerspruch stehen; im Gegenteil, wir lernen von der Wissenschaft und aus der Erfahrung, dass alle rechtmäigen Interessen übereinstimmen und dass die Freiheit ganz Europas unsere Freiheit am besten garantieren kann. Jeder Sieg, den die Freiheit und die Staatswissenschaft in einem europäischen Land erringen, ist für uns ein Gewinn und wird als solcher von uns begrüt. Andererseits, Freiheit und Wohlstand, die wir genieen, wecken nicht länger Missgunst und Groll seit unsere Nachbarn bemerken, dass wir ihnen das Gute aufrichtig wünschen, das uns bereits zuteil wurde. Wir stehen allen anderen Völkern nicht länger isoliert und beinahe feindlich gegenüber: in Zusammenarbeit mit allen streben wir danach, die Zivilisation und das Glück aller zu vergröern.

Es ist eine gewichtige Frage, ob sich die Menschheit wirklich zum Guten entwickelt; ob die späteren Generationen besser und glücklicher sind als die vorherigen. Ich wei nicht, ob sie überhaupt beantwortet werden kann; ich für meinen Teil traue es mich nicht. Sicher ist hingegen, dass die Verhältnisse, in denen wir leben, für Tugend und Genuss immer günstiger werden. Das trifft speziell für unser Volk und seine Geschichte zu. Ob wir unsere Vorgänger an Tugend und Glück übertreffen oder nicht, muss ungeklärt bleiben; sicher ist, dass wir in einem besser organisierten Staat und in gröerer Freiheit leben als die Bürger der Vereinigten Niederlande oder die Untertanen der österreichischen Fürsten. Wie viel an unserem gegenwärtigen Zustand auch zu wünschen übrig lässt, wie viel wir von der Zukunft noch erhoffen dürfen, die Erinnerung an das Vergangene stimmt uns zufrieden. Wir haben wirklich keinen Grund, uns nach einer früheren Epoche unserer Geschichte zurück zu sehnen.



[1] Vgl. G.K. van Hogendorp, Bijdragen tot de huishouding van staat in het Koninkrijk der Nederlanden (10 Bde.; s-Gravenhage, (1818-1825) I, 43 ff.; VIII, 181 ff.

[2] Jeannin schrieb diesbezüglich am 3. April 1609 an seine Regierung: L’Empereur a toejours maintenu que les états de ce prince sont masculins, par ainsi que cétoit à lui dén investir qui bon lui sembleroit, le cas échéant durant son empire, et que le Roi dEspagne, pour être lesdits éytats proche des Pays-Bas, sétoit aussi promis dès longtemps den obtenir linvestiture de lui, moyennant une grand somme dargent . Les Négotiations du Président Jeannin. Nouvell Collection des mémoires pour servir à lhistoire de France (Paris, 1850) IV, 612.

[3] “Filips is de tweede onzer Hollandsche Graaven, die den bijnaam van den Goeden gedragen heeft: mogelijk nog meer ten onregte dan Willem de III”. [Philipp ist der zweite unserer holländischen Grafen, der den Beinamen “der Gute” getragen hat; möglicherweise ungerechtfertigter als Willhelm III.] So J. Wagenaar, Vaderlandsche historie (21 Bde; Amsterdam, 1790-1796) IV, 95. H. van Wijn, Bijvoegsels en aanmerkingen voor het vierde deel der Vaderlandsche Historie van Jan Wagenaar (Amsterdam, 1791) 38, der meint, “dat de vorst bij zijn onderdanen, die gewoon waren de daden der landsheeren van de beste zijde te beschouwen, ondanks zijn gebreken, den naam van goed niet geheel onverdiend gedragen heeft voor zoo ver zijn bestuur, over ‘t algemeen genomen, goed, dat is vorderlijk, voor zijn landen bevonden werd”. [dass der Fürst bei seinen Untertanen, die daran gewöhnt waren, die Taten der Landesherrn von der besten Seite zu betrachten, trotz seiner Mängel, den Namen “der Gute” nicht ganz unverdient getragen hat, insofern, als seine Regierung im Allgemeinen als gut, also für seine Länder als Vorteil empfunden wurde.]

[4] So erinnert z.B. Petrus Alostanus, im Namen der Stände von Brabant, an die von Holland und Seeland im Jahre 1584 daran, “hoe sedert den tijd dat de Nederlanden haer gelyckelijck onder ‘t gebied van den Hertog Philips den Goedertieren begeven ende onderworpen hebben, deselve in korte tyden toegenomen ende gewassen zijn, soo dat sy gefloreert ende geprospereert hebben in rijckdommen, macht, neringe, traffyken ende overvloed van alle dingen boven alle landen onder de sonne” (in: P. Bor, Oorsprongk, begin ende vervolgh der Nederlantsche oorlogen (4 Bde.; Amsterdam, 1679) II, 476). [wie seit der Zeit, in der sich die Niederlande gleichermaen der Herrschaft Philipps des Guten untergeordnet und unterworfen haben, sie in kurzer Zeit gewachsen sind, so dass sie an Reichtum, Macht, Gewerbe, Industrie und Überfluss in allem stärker florierten und blühten als alle Länder unter der Sonne].

[5] An die niederländischen Gesandten, die im Frühjahr 1652 über einen Vertrag mit England verhandelten, schrieb Jan de Witt am 10. Mai 1652: “Wyders is mede opgemerkt, dat d’Engelschen dese Vereenichde Nederlanden in verscheyden artt. noemen metten naem van Respublica; ‘t welck geoordelt wordt eigentlijck daerop niet wel te passen: also dese provinciën niet en sijn te zamen una respublica , maer yeder provincie apart eene souvereine respublica is; ende dat sulcx dese Vereenichde Provinciën niet met den naem van respublica (in singulari numero) maer veeleer met den naem van respublice foederate (in plurali numero) genoemt souden moeten worden”. [Des Weiteren ist zu bemerken, dass die Engländer die Vereinigten Niederlande in einigen Artikeln eine Republik nennen, was eigentlich als unpassend betrachtet wird: Diese Provinzen sind zusammen nämlich nicht eine Republik , sondern jede Provinz ist für sich eine souveräne Republik; und dass daher diese Vereinigten Provinzen nicht Republik (im Singular) sondern vielmehr föderierte Republiken (im Plural) genannt werden müssten.] Brieven van Johan de Witt, bearbeitet von R. Fruin, herausgegeben von G. W. Kernkamp. WHG 3. Serie Nr. 18 (Amsterdam, 1906) I, 61-62. De Witt und seine Zeitgenossen halten diese Staatsform für geeignet und wünschen, sie zu erhalten. Oldenbarnevelt hingegen, der die Bedürfnisse der Republik besser kannte, hatte zu seiner Zeit bedauert, “dat de Vereenichde Nederlanden nyet en syn één Republique, maer seven verscheyde Provintiën, hebbende elcx hare verscheydene forme van regeeringe, nyets gemeen hebbende met malcanderen dan alleen ‘t gunt by contract totte gemeene defensie gelooft is.” [dass die Vereinigten Niederlande nicht eine einzige Republik, sondern sieben getrennte Provinzen, die alle ihre unterschiedlichen Regierungsformen haben, und nichts miteinander gemein haben, als das, was vertraglich zur gemeinsamen Verteidigung festgelegt ist.] M. L. van Deventer, Hrsg., Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd (3 Bde.; ‘s-Gravenhage, 1865) III, 142. Es waren vor allem die hervorragenden Manahmen von 1618 und 1650, die die Freiheitsfreunde von einem engeren Bündnis und einer mächtigeren allgemeinen Landesregierung abgehalten hatten

[6] Voetius schreibt darüber: “Hac ipsa hora, dum hoc scribo, ad manus meos pervenit exemplum Decreti Illustrissim. Praepot. DD. Ordinum Hollandiae, quo periculosae ingeniorum petulantiae, Academiam Leidensem praetextu libertatis Philosophicae (vere servitutis) nimis, proh dolor! Hactenus infestanti, fibula imponitur”. Selectae disputationes theologicae (Utrecht, 1659) III, 741.

[7] Resolution der Stände von Holland vom 30. September 1656. Resolutiën van consideratie der Staten van Hollandt ende West-Vriesland (Amsterdam, 1792) 273.

[8] Abr. Heydanus an J. De Witt, 22. Juli 1656. Brieven aan Johan de Witt, bearbeitet von R. Fruin, herausgegeben von N. Japikse. WHG 3. Serie Nr. 42 (Amsterdam, 1919) I, 196.

[9] Die Curatoren waren auch auf der Hut vor dem Einfluss der Synoden. Siehe M. Siegenbeek, Geschiedenis der Leidsche hoogeschool, 1575-1825, (2 Bde., Leiden, 1829) I, 74.

[10] 26. Sept. 1670. Brieven van Johan de Witt, bearbeitet von R. Fruin, herausgegeben von N. Japikse. WHG 3. Serie Nr. 33 (Amsterdam, 1913) IV, 88.

[11] 27. November 1670 ( ebenda 123).

[12] So z.B. der Autor von Le cochon mitré . Siehe J. de Lagrange-Chancel, Les Philippiques (Nouvelle édition par M. de Lescure, 1858).

[13] Spinoza bezeugt, in der Praefatio seines Tractatus Theologico-Politicus: “Nobis haec rara felicitas contingit, ut in republica vivamus, ubi unicuique iudicandi libertas integra et Deum ex suo ingenio colere conceditur, et ubi nihil libertate carius nec dulcius habetur”.

[14] 21. April 1662. Brieven van Johan de Witt, bearbeitet von R. Fruin, herausgegeben von N. Japikse. WHG 3. Serie Nr. 25 (Amsterdam, 1909) II, 392.

[15] Auch Hogendorp wollte 1814, dass es so sei. Er forderte “‘s Lands veroverde constitutie, zooals die was vóór de Republiek en veelal behouden is onder de Republiek, hersteld, doch gezuiverd van alle gebreken en gewijzigd door al wat de ondervinding, voorbeelden en verlichting te dien einde aanbieden.” [dass die ehemalige Verfassung des Landes, wie sie vor der Republik war und während der Republik zum gröten Teil beibehalten wurde, wiederhergestellt würde, jedoch aller Mängel bereinigt und gemä allem, was die Erfahrung, Beispiele und die Aufklärung lehren, geändert würde] Siehe J. de Bosch Kemper, De staatkundige geschiedenis van Nederland tot 1830 (Amsterdam, 1868) 406.